05.01.2013 Aufrufe

Gesetz ohne Gott

Gesetz ohne Gott

Gesetz ohne Gott

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

herauszufühlen und von ihnen ausgehend die Verwandtschaft unter den juristischen Begriffen<br />

und Sätzen zu entwickeln. 394 Dem gewordenen Gegenstand in seiner Geschichte verstehend<br />

nachzuspüren, um daraus die Anleitungen für den Umgang mit der Gegenwart zu gewinnen,<br />

bildet für Savigny ebenso ein Postulat wie später für Mannheim und Meinecke. Dabei<br />

verlangt „die strenge historische Methode der Rechtswissenschaft“, jeden juristischen Stoff<br />

bis auf seine Wurzel zu verfolgen, um dort auf das organische Prinzip zu stossen, anhand<br />

dessen im Recht das Abgestorbene, das nur noch der Geschichte angehört, von dem<br />

geschieden werden kann, was noch Leben hat. 395 Das Ziel besteht darin, „den gegenwärtigen<br />

Zustand des Rechts allmählich von demjenigen zu reinigen, was durch blosse Unkunde und<br />

Dumpfheit literarisch schlechter Zeiten, <strong>ohne</strong> alles wahrhaft praktische Bedürfniss,<br />

hervorgebracht worden ist.“ 396<br />

Im kathartischen Zug von Savignys Schrift liegt eine gewisse Parallele zum Unternehmen<br />

von Kelsens Rechtslehre, die nicht nur auf theoretische Reinheit, sondern ebenso auf<br />

praktische Reinigung zielt. Eine weitere Parallele besteht in der Ablehnung der<br />

Naturrechtslehre, eine dritte schliesslich in der Wegweisung jeder Autorität vom Quellgebiet<br />

des Rechts. Die Gestalt des Rechts verdankt sich nach Savigny nicht der Macht eines Fürsten<br />

noch kann es gewaltsam verändert werden; eine Autorität kann sich allenfalls über die<br />

397<br />

organische Struktur des Rechts täuschen, was stets Verderben bringen wird. Statt eine<br />

Grundnorm an den Ursprung des Rechts zu führen, wird auf das Recht der Gewohnheit<br />

verwiesen, das Savigny „natürliches Recht (in einem andern Sinn als unser Naturrecht)“<br />

nennt. 398 Seine Ansicht fasst er dahin zusammen, „dass alles Recht auf die Weise entsteht,<br />

welche der herrschende, nicht ganz passende, Sprachgebrauch als Gewohnheitsrecht<br />

bezeichnet, d.h. dass es erst durch Sitte und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz erzeugt<br />

wird, überall also durch innere, stillwirkende Kräfte, nicht durch die Willkühr eines<br />

<strong>Gesetz</strong>gebers.“ 399 Allein in lebendigem Gewohnheitsrecht ist deshalb nach Savigny wahrer<br />

Fortschritt zu finden. 400<br />

Die historistische Position lässt sich gegenüber einer aufklärerischen als Absage an einen<br />

401<br />

ungeschichtlichen Rationalismus unter Beibehaltung der Fortschrittsidee charakterisieren.<br />

394<br />

Vgl. Savigny: Vom Beruf unsrer Zeit für <strong>Gesetz</strong>gebung und Rechtswissenschaft, S. 22, 28f. und 50.<br />

395<br />

Ebd., S. 117f.<br />

396<br />

Ebd., S. 119.<br />

397<br />

Vgl. ebd., S. 152f.<br />

398<br />

Ebd., S. 13.<br />

399<br />

Ebd., S. 13f. Die „Präeminenz“ eines unabänderlichen Gewohnheitsrechts hat Max Weber dazu geführt, für<br />

die Historische Rechtsschule von einem „Naturrecht des historisch Gewordenen“ zu sprechen und dieses der<br />

Reihe naturrechtlicher Strömungen einzuordnen; Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 497.<br />

400<br />

Vgl. Savigny: Vom Beruf unsrer Zeit für <strong>Gesetz</strong>gebung und Rechtswissenschaft, S. 133.<br />

401<br />

Den historisch-systematischen Zusammenhang von Historismus und Aufklärung charakterisiert Schnädelbach<br />

dahingehend, „dass der Historismus aus der historischen Aufklärung dadurch entspringt, dass sie rückwirkend<br />

das Fundament dieser Aufklärung selbst affiziert, d.h. die Menschennatur und die Vernunft als etwas<br />

103

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!