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Gesetz ohne Gott

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4.2 Die systemtheoretische Begründung unentscheidbarer Entscheide<br />

Das Problem einer nicht naturrechtlichen Legitimierung von Recht sitzt tief an dessen Grund,<br />

wobei Grund hier als systematischer und zugleich historischer Ausgangspunkt begriffen<br />

werden muss. Zwischen beiden besteht ein enger Verweisungszusammenhang, denn die<br />

normative Haltlosigkeit, die dem bloss gesetzten Recht dauerhaft innewohnt, bedeutet eine<br />

Widerspiegelung der grundlosen Entscheidung, die den Anfang des Rechts macht. Das<br />

Unbehagen, das aus solcher Entscheidung erwächst, beschreibt Niklas Luhmann in<br />

Legitimation durch Verfahren:<br />

„Ob und wieweit das Recht Entscheidungsprozessen überantwortet werden kann, ist für den<br />

Juristen ein ungelöstes Problem. Seit alters gewohnt und darauf eingestellt, Streit zu entscheiden<br />

und dabei festzustellen, was Recht ist, macht ihm der Gedanke, auch das Recht selbst durch<br />

Entscheidung herzustellen, sichtlich zu schaffen. Der Abgrund von Beliebigkeit, der sich auftun<br />

könnte, wenn alles Recht nur kraft Entscheidung gälte, lässt ihn erschaudern.“ 263<br />

Wenn am Anfang des Rechts kein Grund zu finden ist, bleibt in der Tat nur Abgrund.<br />

Treffender scheint mir allerdings, die Kausalität in umgekehrter Richtung zu formulieren.<br />

Nicht etwa stürzt das Recht in Beliebigkeit, weil es allein auf Entscheidung beruht, sondern<br />

vielmehr ist der Grund für die Entscheidung darin zu finden, dass vor dem <strong>Gesetz</strong> und d.h.:<br />

vor der Entscheidung ein normatives Vakuum liegt. Wo keine Werte feststehen, hat<br />

Beliebigkeit ihren Sitz. Auch ist Beliebigkeit die Bedingung, unter der allein es zur<br />

Entscheidung kommen kann. Von diesem Gedanken ausgehend rückt Luhmann die Kausalität<br />

im Anschluss an Heinz von Foerster unmissverständlich in die rechte Richtung:<br />

„Entscheidungen gibt es nur, wenn etwas prinzipiell Unentscheidbares (nicht nur:<br />

Unentschiedenes!) vorliegt. Denn anderenfalls wäre die Entscheidung schon entschieden und<br />

müsste nur noch ‚erkannt’ werden.“ 264<br />

Wäre die Entscheidung schon entschieden, wäre sie<br />

keine Entscheidung mehr, sondern nur mehr die Berechnung des Richtigen.<br />

Mit einer der beiden Optionen kann die Entscheidung nicht zusammenfallen, weshalb sie<br />

265<br />

„selbst in der Alternative gar nicht vorkommt.“ Zugleich stellt die Alternative die<br />

Bedingung der Möglichkeit jeder Entscheidung dar, indem durch die Entscheidung die<br />

präferierte Seite der Alternative bezeichnet wird. 266 Angesichts ihres ambivalenten Status<br />

bestimmt Luhmann die Entscheidung als „das eingeschlossene ausgeschlossene Dritte“. 267<br />

Entscheidung steht nach Luhmann auch am Anfang des Rechts, an dem Dezisionismus und<br />

Positivität eine ähnlich enge Verknüpfung erfahren wie bei Carl Schmitt: „Unter positivem<br />

263<br />

Niklas Luhmann: Legitimation durch Verfahren, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1983, S. 141.<br />

264<br />

Ders.: Das Recht der Gesellschaft, S. 308.<br />

265<br />

Ders.: Organisation und Entscheidung, Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2000, S. 135.<br />

266<br />

Vgl. ebd., S. 132f.<br />

267<br />

Ebd., S. 135.<br />

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