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Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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Pid FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1, 1995<br />

In der Psychologie und Sozialpychologie steht<br />

personale Identität zumeist für die Einzigartigkeit<br />

des Individuums („individuelles<br />

Selbst"). Dagegen verweist soziale Identität<br />

auf die überindividuelle Prägung der Person<br />

etwa als Träger bestimmter Rollen, Inhaber<br />

eines bestimmten Status oder Angehöriger eines<br />

bestimmten Kulturkreises („kollektives<br />

Selbst"). 4<br />

Der Zusammenhang beider Aspekte<br />

wird im „Selbstkonzept" innerhalb des Rahmens<br />

von Theorien des symbolischen Interaktionismus<br />

ausgeführt. 5<br />

Mit Ich-Identität oder<br />

Ich-Stärke könnte man die „gelungene" Verbindung<br />

von personaler und sozialer Identität<br />

bezeichnen. Sie beruht auf einer psychischen<br />

und kognitiven Integrationsleistung, bei der<br />

Selbstansprüche und externe, aber unabweisbare<br />

Rollenzumutungen, vergangene und gegenwärtige<br />

Erfahrungen so weit miteinander<br />

vereinbart werden, daß die jeweilige Person<br />

sich als handlungsfähige und realitätstüchtige<br />

„Einheit" begreift und von anderen auch so<br />

wahrgenommen wird. 6<br />

Ist diese Einheit bedroht,<br />

so wird von einer Identitätskrise gesprochen;<br />

zerbricht sie, so erfolgen Zuschreibungen<br />

der Pathologie. Dies gilt etwa dann,<br />

wenn jemand an sich verzweifelt, sich Rollen<br />

und Eigenschaften bloß zudichtet oder sich<br />

gar als zwei verschiedene Personen begreift<br />

und damit als schizophren eingestuft wird.<br />

Ich schlage vor, kollektive Identität von den in<br />

der Ich-Psychologie verwendeten Konzepten<br />

personaler und sozialer Identität zu unterscheiden.<br />

7<br />

Der Referenzpunkt kollektiver Identität<br />

ist weder die Person noch die Rolle, sondern<br />

die Gruppe - gleich, ob es sich um eine Kleingruppe,<br />

eine Ethnie oder einen noch größeren<br />

Kulturkreis handelt. Zwar ist auch kollektive<br />

Identität intrapsychisch verankert und kann sich<br />

im Verhalten und Symbolgebrauch einer situativ<br />

von der Gruppe herausgelösten Person manifestieren.<br />

Doch wird die Identität der Gruppe<br />

vor allem in ihrem Auftreten als Gruppe<br />

verkörpert, wobei diese Verbundenheit physisch,<br />

symbolisch und/oder rhetorisch sowohl<br />

nach innen als auch nach außen bekundet werden<br />

kann. Kollektive Identität läßt sich bestimmen<br />

als ein Syndrom von Bewußtseinsund<br />

Ausdrucksformen von mindestens zwei<br />

Personen, welche um ihre Zusammengehörigkeit<br />

(als Paar, Gruppe, Klasse, Ethnie, Nation<br />

usw.) wissen, diese - im Regelfall - handlungspraktisch<br />

demonstrieren und insofern<br />

auch von ihrer Umwelt als zusammengehörig<br />

wahrgenommen werden. 8<br />

Vorausgesetzt werden<br />

damit (1) ein subjektives Wir-Gefühl 9<br />

und<br />

demnach (die Fiktion von) Gemeinsamkeiten,<br />

die eine Abgrenzung der eigenen Referenzgruppe<br />

nach außen ermöglichen, sowie (2) Formen<br />

von Vergemeinschaftung, die durch anhaltende<br />

Interaktion bzw. Organisation stabilisiert<br />

und nach innen wie nach außen symbolisch<br />

vermittelt werden. Die Stabilisierung einer<br />

Innen-Außen-Differenz beruht auf der<br />

wechselseitigen Zuschreibung von „wir" und<br />

„die anderen", wobei die dabei entstehenden<br />

Bilder fortlaufend registriert und verarbeitet<br />

werden. Kollektive Identität beruht nicht auf<br />

ontologischen Gemeinsamkeiten, sondern auf<br />

fortlaufenden Interaktionen. „Sie wird in gesellschaftlichen<br />

Prozessen geformt." (Berger/<br />

Luckmann 1977: 185) 10<br />

Diese sehr abstrakte Bestimmung kollektiver<br />

Identität soll im folgenden für den Gegenstandsbereich<br />

soziale <strong>Bewegungen</strong> angewandt<br />

und entfaltet werden.<br />

2. Kollektive Identität als Konzept<br />

der Bewegungsforschung<br />

2.1 <strong>Bewegungen</strong> als Kollektive<br />

Analytisch lassen sich durch Organisation integrierte<br />

Funktionssysteme von durch kollektive<br />

Identität integrierte Handlungssysteme (Kollektive)<br />

unterscheiden (Rucht 1994: 46ff.). n

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