Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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sentiert Claussen unter dem<br />
Anschein der Kritik des akademischen<br />
Jargons kryptische<br />
und expertistische Annotationen<br />
zur Fachliteratur, gewürzt<br />
mit einigen political correctness-Hieben.<br />
Fangen wir mit<br />
letzterem an: Pierre Andre Taguieff<br />
war seinerzeit in 'Le<br />
Monde' von traditionalistischen<br />
Linken scharf angegangen<br />
worden, weil er seine Kritik<br />
an einem naiven Antirassismus<br />
auch in einem neurechten<br />
Verlag publiziert hatte, was zugegebenerweise<br />
fragwürdig<br />
war. Nicht zufällig fand sich in<br />
derselben Ausgabe der Pariser<br />
Abendzeitung der selbstgefällige<br />
'Aufruf zurWachsamkeit'.<br />
ImFahrwasserdes Flaggschiffs<br />
'Le Monde' ist nun Claussen<br />
zu erblicken, der Taguieff als<br />
„wissenschaftlichen Prosaisten"<br />
geißelt, da er Rassismus<br />
und Antirassismus „konfundiert"<br />
(17). Darüber hinaus<br />
greift Clausen nicht nur gerne<br />
Thesen anderer auf, sondern<br />
erweckt durch Nichterwähnung<br />
der Quellenangabe auch Eindruck,<br />
er wolle sich mit fremden<br />
Federn schmücken, und so<br />
verwundert es nicht, wenn einem<br />
der eine oder andere Gedanke<br />
bekannt vorkommt. So<br />
ist die These von der „konformistischen<br />
Rebellion", bei Claussen<br />
gesperrt gedruckt, bereits<br />
vorher zu finden bei Jörg<br />
Bergmann und Claus Leggewie.<br />
Die „neuere Fachliteratur"<br />
(18) stelle Kulturrelativismus<br />
als neu dar - es darf gera<br />
FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HlIFT 1. 1995<br />
ten werden, wer gemeint ist.<br />
Ähnliche Beispiele gibt es zuhauf:<br />
Daß die Öffentlichkeit<br />
aus Gewalttätern, die Rassisten<br />
und Nazis spielen (22),<br />
erstRassistenundNazis macht,<br />
hatte schon Wolfgang Fritz<br />
Haug geäußert, der jedoch nicht<br />
zitiert wird. Wer unter „linke<br />
Generalabrechnung mit der<br />
Aufklärung" (17) gefaßt wird,<br />
ist zwar durchschaubar, aber<br />
nur für die Fachwelt.<br />
Claussen zieht im Gefolge von<br />
Karl Kraus gegen Sprachverschluderung<br />
zu Felde. Einem -<br />
namentlich genannten - Attakkierten<br />
wird vorgeworfen, „in<br />
der geschwollenen Sprache des<br />
akademischen Marxismus" zu<br />
sprechen (12). Dagegen bietet<br />
Claussen Musterbeispiele<br />
sprachlicher Klarheit, wie beispielsweise:<br />
„In der Alltagsreligion<br />
sedimentiert sich eine<br />
erfahrungsgesättigte Anthropologie<br />
des bürgerlichen Menschen,<br />
wie sie sich in den letzten<br />
fünfhundert Jahren petrifiziert<br />
hat." (19). Die Metaphorik<br />
„petrifiziert - sedimentiert"<br />
ist somit freigegeben für Spekulationen<br />
über mögliche begriffliche<br />
Differenzen. Oder:<br />
„Für Rassismus als Ideologie<br />
gibt es keine Rechtfertigung,<br />
denn jegliche rassistische Ideologie<br />
ist eine Rechtfertigung"<br />
(23). Inkonsistenzen dieser<br />
Machart prägen den Text und<br />
haben vielleicht damit zu tun,<br />
daß Claussen als ein Hauptübel<br />
die Grenzverwischung<br />
zwischen „Wissenschaft und<br />
Populärwissenschaft" (2) ausmacht<br />
und sich stets im Zweifelsfall<br />
gegen Verständlichkeit<br />
und für tiefsinnig gemeinten<br />
Wissenschaftsjargon entscheidet.<br />
Die huldvolle Reverenz an<br />
eine kryptisch eWissenschaftssprache<br />
gerät dennoch stellenweise<br />
im Gegensatz zur internationalen<br />
scientific community,<br />
da Claussen beispielsweise<br />
die Selbstbezeichnung der<br />
Nazis im Gegensatz zum internationalen<br />
Usus unreflektiert<br />
übernimmt. Claussen hebt ab<br />
auf funktionelle Notwendigkeiten:<br />
Der „ideologische Antirassismus"<br />
(oder die „antirassistische<br />
Ideologie") erfüllt „die<br />
Funktion, die Welt als rassistisch<br />
zu interpretieren" (17,<br />
bzw. 15). Aber als Erklärung<br />
reicht eine solche funktionalistische<br />
Zurückführung nicht<br />
aus.<br />
Die ausgewähltenTexte mit den<br />
durchaus kundigen Kommentaren<br />
Claussens sind spannend,<br />
wenn auch durch seine einseitige<br />
Vorgehensweise wichtige<br />
neuere Texte, wie die von Stuart<br />
Hall oder „die ausgezeichneten<br />
Arbeiten von Pierre-Andre<br />
Taguieff und Michel Wieviorka"<br />
(Gilbert Ziebura) fehlen.<br />
Die eine oder andere Einschätzung<br />
mag fragwürdig ausgefallen<br />
sein (erneute Polemik<br />
gegen Taguieff, der zu Recht<br />
auf die Ambivalenz bestimmter<br />
Thesen von Levi-Strauss<br />
hingewiesen hat, seit diese