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28 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1, 1995<br />

stischen Beispiel für eine kulturelle kollektive<br />

Identität gewandelt hat.<br />

In den ersten Jahren ihres politisch relevanten<br />

Auftretens hat die Organisation Umberto Bossis<br />

ausdrücklich versucht, den Beispielen traditionellen<br />

Regionalismus zu folgen, und ihren<br />

politischen Diskurs vorrangig auf primordiale<br />

Codes der Gemeinschaftsbildung gelegt.<br />

Dementsprechend wurde zunächst die Selbstbestimmung<br />

der Region und die politischen<br />

Rechte einer ethnisch definierten sozialen<br />

Gruppe zum zentralen politischen Ziel. Diese<br />

Orientierung erwies sich langfristig aber als<br />

kontraproduktiv für die politische Mobilisierung.<br />

Eine primordiale kollektive Identität war<br />

nur bedingt anschlußfähig an die Lebenserfahrung<br />

des potentiellen Klienteis der Lega. In<br />

einem primordialen Sinn der lombardischen<br />

Gemeinschaft anzugehören, fand in der etablierten<br />

politischen Kultur keine Grundlage,<br />

und so wurde der programmatische Bezug auf<br />

die entsprechenden Muster der Gemeinschaftsbildung<br />

(allen voran die gemeinsame Sprache<br />

und Geschichte) bald aufgegeben.<br />

An die Stelle dieser primordialen Codes traten<br />

kulturell geprägte Formen der Konsensbeschaffung.<br />

Bei der Lega ist dies vorrangig eine stark<br />

normative Arbeitsethik mit den ihr zugeschriebenen<br />

Sekundärtugenden, in bezug auf die besonders<br />

die Abgrenzung gegenüber den Süditalienern<br />

vorgenommen wird. Die Zugehörigkeit<br />

zu einer territorialen Einheit wird hier symbolischer<br />

Ausdruck einer vorgeblich dort beheimateten<br />

Gesinnung und Einstellungsmuster.<br />

Diese anzunehmen und sich ihr gemäß zu verhalten,<br />

ist dabei keineswegs von einer ethnischen<br />

oder biologisch unveränderbaren Ausstattungen<br />

abhängig (sieht man im Fall der<br />

Lega einmal von offen biologistisch-rassistischen<br />

Äußerungen ab). Die Lega läßt in ihren<br />

öffentlichen Verlautbarungen unzweideutig<br />

wissen, daß beispielsweise Süditaliener, die die<br />

Werte der 'hart arbeitenden und aufrichtigen<br />

Gemeinschaft' übernehmen, prinzipiell integriert<br />

werden können. Ebenso werden die für<br />

den Norden als prägend beschriebenen kulturellen<br />

und sozialstrukturellen Gegebenheiten<br />

als ein Modell gepriesen, das auf das gesamte<br />

Land übertragbar und auf dessen Grundlagen<br />

die Grundübel Italiens zu kurieren wären.<br />

Hiermit war die entscheidende Voraussetzung<br />

geschaffen, um in der politischen Mobilisierung<br />

über die Grenzen der regional oder lokal<br />

gefaßten Gemeinschaft hinauszugehen und<br />

neue Anhänger für das eigene politische Projekt<br />

zu gewinnen. Erst auf der Grundlage einer<br />

kulturellen kollektiven Identität war es der<br />

Lega möglich, politisches Kapital aus der<br />

schweren Krise des politischen Systems zu<br />

schlagen und sich als ausdrückliche Alternative<br />

zu den etablierten nationalen Parteien anzubieten.<br />

Die binäre Struktur der koUektiven<br />

Identität - das populistische Ausspielen der im<br />

Norden vorgeblich beheimateten Werte der Arbeitsamkeit<br />

und Aufrichtigkeit gegen das als<br />

korrupt porträtierte nationale politische Establishment<br />

- erwies sich als die kognitive<br />

Grundlage, auf der die Lega den lokalen Kontext<br />

aufzugeben und sich als potentiell nationale<br />

Partei zu präsentieren imstande war. Der<br />

ihrem Protest zugrundeliegende Konsens war<br />

nicht länger an eine ethnisch definierte Herkunft<br />

gebunden, sondern vornehmlich als Bestätigung<br />

der reklamierten norditalienischen<br />

Arbeitsethik und als Ablehnung der in Rom<br />

praktizierten Politik formuliert.<br />

An diesem Punkt wird einsichtig, daß eine<br />

solche kulturelle Reformulierung der kollektiven<br />

Identität die Lega in die Lage versetzte,<br />

politische Ziele zu verfolgen, die Formen primordialer<br />

Identität verwehrt sind. Geht es bei<br />

letzterem Idealtypus um die strikte Abgrenzung<br />

der eigenen Gemeinschaft und um die<br />

Verteidigung von deren grundlegender und un-

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