Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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14 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1, 1995<br />
risch eng verbunden sieht: „(1) formulating<br />
cognitive frameworks concerning the ends,<br />
means, and field of action, (2) activating relationships<br />
between the actors, who interact,<br />
communicate, influence each other, negotiate,<br />
and make decisions, (3) making emotional Investments,<br />
which enable individuals to recognize<br />
themselves." (Melucci 1988: 343) So gesehen<br />
ist kollektive Identität nicht Vorbedingung<br />
von sozialen <strong>Bewegungen</strong>, sondern eher ein<br />
(Zwischen-) Produkt fortgesetzter Interaktionen.<br />
Sie ist keine fixe Größe, keine einmal<br />
erworbene und damit gesicherte Eigenschaft,<br />
sondern bedarf im Zuge interner wie externer<br />
Veränderungen ständiger Investitionen (Melucci<br />
1989: 34) Zurecht wird in diesem Zusammenhang<br />
gelegentlich von identity work (z.B.<br />
Snow/Anderson 1987) bzw. - im Hinblick auf<br />
auf Einzelpersonen - von identity bargaining<br />
(Weinstein 1966; Blumstein 1973) und „Patchwork-Identität"<br />
(Keupp 1988) gesprochen.<br />
2.4 Ebenen und Dimensionen von<br />
Bewegungsidentität<br />
a) Die Rede von der kollektiven Identität einer<br />
sozialen Bewegung suggeriert nicht nur fälschlicherweise<br />
die Vorstellung, es handle sich um<br />
eine feste, von allen ihren Trägern bzw. Beobachtern<br />
in gleicher Weise wahrgenommene<br />
Größe; sie verdeckt auch den Sachverhalt, daß<br />
aus der Perspektive der Personen bzw. Gruppen,<br />
die einer Bewegung angehören, mehrere<br />
Bezugsebenen für Identitätsbildung vorliegen.<br />
Diese sind gleichsam ineinander verschachtelt<br />
und gewinnen in wechselseitiger Bezugnahme<br />
und Abgrenzung ihren spezifischen Gehalt,<br />
müssen jedoch zugleich mit der übergreifenden<br />
Bewegungsidentität kompatibel bleiben. 14<br />
Zwischen den einer Bewegung zugehörigen<br />
Individuen und der Bewegung als einem Makrophänomen<br />
besteht kein unvermitteltes Band.<br />
Vielmehr existieren innerhalb einer Bewegung<br />
multiple Zugehörigkeiten. 15<br />
So kann man Mitglied<br />
einer kleinen Basisgruppe sein, die ihrerseits<br />
Teil eines regionalen Aktionsverbundes<br />
ist, der durch Delegierte in einem nationalen<br />
Koordinationsgremium vertreten wird, welches<br />
wiederum den moderaten Flügel einer<br />
Bewegung verkörpert. Allerdings werden diese<br />
Kollektive unterschiedlich erfahren. Die kollektive<br />
Identität kleiner Gruppen in <strong>Bewegungen</strong><br />
16<br />
beruht auf der Unmittelbarkeit gemeinsamer<br />
Handlungspraxis und ist insofern „konkret",<br />
d.h. in ihrem Gehalt und in ihren Grenzziehungen<br />
authentisch wahrnehmbar. Dagegen<br />
bleibt die kollektive Identität der Gesamtbewegung<br />
notwendig „abstrakt" und ist in der<br />
Regel nur mittelbar nachvollziehbar. 17<br />
Diese<br />
Abstraktheit erlaubt es aber, daß sich Gruppen<br />
unterschiedliche Identitäten einer Bewegung<br />
zurechnen können. So gesehen sind soziale<br />
<strong>Bewegungen</strong> notwendig „diffuse collectivities"<br />
(Turner/Killian 1987: 136).<br />
b) In Anlehnung an die Tourainesche Trias<br />
von identite, Opposition und totalite können in<br />
einer etwas anders gefaßten Form drei zentrale<br />
Dimensionen der Identität einer Bewegung<br />
unterschieden werden, nämlich die Bewegung<br />
(1) als ein auf Vernetzungsstrukturen beruhender<br />
Interaktionszusammenhang, (2) als aktiver<br />
Herausforderer einer anderen Gruppe und (3)<br />
als Interpret eines gesellschaftlichen Konflikts.<br />
Im Hinblick auf diese drei Dimensionen kommt<br />
es zu konkreten, von den Anhängern der Bewegung<br />
wie von externen Beobachtern prinzipiell<br />
wahrnehmbaren Manifestationen der Bewegung.<br />
18<br />
Für die Beschreibung von kollektiver<br />
Identität braucht man sich demnach nicht<br />
auf diffuse, holistische Eindrücke zu beschränken.<br />
Zum ersten manifestiert sich Bewegungsidentität<br />
in spezifischen kommunikativen und organisatorischen<br />
Verdichtungen, die zum einen<br />
den Formtypus sozialer Bewegung prägen und