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Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1. 1995 73<br />

- das System vor dem Zerfall zu immunisieren<br />

sucht und<br />

- auf die Identität des Systems in Differenz<br />

zur Umwelt reflektiert und dadurch eine<br />

Identitätsversicherung zu bewirken sucht,<br />

die aber auch in eine Identitätsdiffusion umschlagen<br />

kann.<br />

3. <strong>Soziale</strong> Milieus<br />

und soziale <strong>Bewegungen</strong><br />

Ausgehend von dieser Beobachtung, stellt sich<br />

nun die Frage, welcher Zusammenhang zwischen<br />

dieser Bestimmung von Identität und<br />

sozialen <strong>Bewegungen</strong> besteht. Eine erste These<br />

lautet, daß auch soziale <strong>Bewegungen</strong> eine<br />

Subsystembildung eines sozialen Systems darstellen,<br />

für das sie die Funktion wahrnehmen,<br />

auf einen erforderlich werdenden Strukturwandel<br />

so zu reagieren, daß das System durch die<br />

dadurch entstehende Unterbrechung des autopoietischen<br />

Prozesses auf der basalen Ebene<br />

vor dem Zerfall immunisiert und auf der reflexiven<br />

Ebene seiner Identität versichert wird.<br />

Die zweite These lautet, daß gerade dieser erforderlich<br />

werdende Strukturwandel die Gefahr<br />

einer Identitätsdiffusion birgt, so daß die<br />

Identität des Systems selbst auf dem Spiel steht.<br />

Somit stellen sich drei Fragen: (1) Welches<br />

stellt das System dar, das soziale <strong>Bewegungen</strong><br />

als Subsystem mit dieser speziellen Funktion<br />

ausbildet? (2) Welcher Art ist das Problem,<br />

das dieses System schlimmstensfalls mit der<br />

Gefahr einer Identitätsdiffusion konfrontiert?<br />

(3) Wie wirken soziale <strong>Bewegungen</strong> dieser<br />

Gefahr entgegen?<br />

Bezüglich der ersten Frage wird die dritte These<br />

vertreten, daß es sich um soziale Milieus handelt,<br />

die soziale <strong>Bewegungen</strong> als Subsysteme<br />

ausbilden, um die entstehende Unterbrechung<br />

ihres autopoietischen Prozesses auf der basalen<br />

Ebene, die durch einen erforderlich wer­<br />

denden Strukturwandel entstanden ist, zu überbrücken<br />

und die Autopoiesis vor dem Abbruch<br />

zu immunisieren, was das jeweilige Milieu auf<br />

der reflexiven Ebene seiner Identität versichert.<br />

Damit Milieus aber Subsysteme ausbilden können,<br />

müssen sie selbst Systeme sein. Die vierte<br />

These lautet daher: <strong>Soziale</strong> Milieus sind soziale<br />

Systeme.<br />

Der Begriff des sozialen Milieus entstammt<br />

der Sozialstrukturanalyse. Er steht in Zusammenhang<br />

mit Schichten und Klassen und versucht,<br />

Lebensweisen, Einstellungen und Beziehungen<br />

von Menschen nach Ähnlichkeiten<br />

und Unähnlichkeiten zu strukturieren. Schon<br />

Dürkheim hat den Begriff benutzt, Rainer Lepsius<br />

hat ihm eine charakteristische Wendung<br />

gegeben, und in neueren Sozialstrukturanalysen<br />

hat er eine unzweifelhaft prominente Position<br />

eingenommen. Die Sozialstrukturanalyse<br />

arbeitet aber nicht systemtheoretisch 6<br />

- wie<br />

lassen sich soziale Milieus dann als soziale<br />

Systeme beschreiben?<br />

<strong>Soziale</strong> Systeme bestimmen ihre Identität in<br />

Differenz zur Umwelt. <strong>Soziale</strong> Systeme operieren<br />

im Medium Sinn, das sie in Form von<br />

Kommunikationen aktivieren, wobei sie durch<br />

Erwartungsstrukturen Anschlußfähigkeit herstellen.<br />

<strong>Soziale</strong> Systeme unterscheiden sich somit<br />

durch jeweils andere Sinnstrukturen voneinander.<br />

Dabei ist zu unterscheiden, ob sich<br />

die Identität eines Systems in Differenz zur<br />

Umwelt über duale oder binäre Schematisierung<br />

bestimmt: Duale Schematisierung arbeitet<br />

mit der Unterscheidung von bestimmt/unbestimmt<br />

(dies und nichts anderes), während<br />

binäre Schematisierung die Unterscheidung<br />

von bestimmt/bestimmt (dies und nicht das)<br />

benutzt (vgl. Luhmann 1986b: 75ff, 1986c).<br />

Man könnte binäre Schematisierung auch als<br />

Sonderfall dualer Schematisierung bezeichnen,<br />

der in der Codierung der Funktionssysteme<br />

mit der Formel Wert/Gegenwert seinen rein-

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