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Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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92 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1, 1995<br />

Bewegung „rechtsextrem", „rechtsradikal",<br />

oder bloß „ausländerfeindlich" sei. Für manchen<br />

Teilnehmer der Diskussion kam noch eine<br />

politische Dimension hinzu: es sei nicht nur<br />

die Frage, ob der Rechtsextremismus eine „soziale<br />

Bewegung" sei, sondern ob er die Auszeichnung<br />

durch diesen Begriff auch verdiene.<br />

Noch einmal, ich will nicht behaupten, daß<br />

solche Fragen ganz unwichtig sind, aber ich<br />

denke, daß angesichts der gesellschaftlichen<br />

und wissenschaftlichen Relevanz des Themas<br />

andere Fragen doch wichtiger und dringender<br />

gewesen wären. Warum nicht, ganz pragmatisch,<br />

einmal annehmen, daß der Rechtsextremismus<br />

- oder wie immer man das Phänomen<br />

bezeichnen will - eine soziale Bewegung oder<br />

jedenfalls etwas sehr ähnliches ist, und dann<br />

empirisch überprüfen, inwieweit diese Annahme<br />

dadurch bestätigt wird, daß das Instrumentarium<br />

der Bewegungsforschung auch auf dieses<br />

Phänomen sinnvoll anzuwenden ist (oder<br />

eben nicht)? Aber der deutsche Sozialwissenschaftler<br />

bewegt sich nicht gerne auf dem Eis<br />

begrifflich zweifelhafter Qualität. Lieber bleibt<br />

er am Ufer stehen und diskutiert dort mit seinen<br />

Kollegen die mögliche Tragfähigkeit des<br />

Eises, ohne es jedoch auszuprobieren - mit<br />

dem Risiko, daß er nie ans andere Ufer gelangt.<br />

Dieses Bild ist kaum eine Übertreibung, wenn<br />

man die Ergebnisse der jahrelangen, noch immer<br />

anhaltenden Diskussion über die Definition<br />

neuer sozialer <strong>Bewegungen</strong> betrachtet. Man<br />

wundert sich, daß noch keine Umweltinitiative<br />

gegen diese Diskussion tätig geworden ist:<br />

Wieviel Bäume haben nicht schon sterben müssen<br />

für das Papier, auf dem diese Auseinandersetzung<br />

stattgefunden hat? Und noch immer<br />

wissen wir kaum, was genau die neuen<br />

sozialen <strong>Bewegungen</strong> miteinander verbindet,<br />

oder was sie von den „alten" <strong>Bewegungen</strong><br />

unterscheidet. Und wir wissen es noch immer<br />

nicht, weil es kaum empirisch untersucht wurde.<br />

Unser Wissen um die Dominanz von Teilen<br />

der neuen Mittelschicht in diesen <strong>Bewegungen</strong><br />

verdanken wir vor allem ausländischen<br />

Forschern wie Frank Parkin und Hanspeter<br />

Kriesi, die sich mal auf das glatte empirische<br />

Eis begeben haben. Unser Wissen, daß die<br />

Anhänger dieser <strong>Bewegungen</strong> postmaterialistische<br />

Wertmuster vertreten, verdanken wir<br />

den Meinungsforschern. Die deutsche Bewegungswissenschaft<br />

zog es jedoch vor, ihre Diskussion<br />

vor allem am sicheren Ufer auszutragen<br />

und versucht dort immer noch, die Sache<br />

rein begriffstheoretisch zu klären. Warum wird<br />

nicht versucht, systematisch alte und neue <strong>Bewegungen</strong><br />

miteinander zu vergleichen? Warum<br />

wird so viel über die „typischen" Aktionsund<br />

Organisationsformen der neuen sozialen<br />

<strong>Bewegungen</strong> behauptet und gestritten, aber nie<br />

auf empirischer Ebene die Richtigkeit solcher<br />

Behauptungen überprüft?<br />

Mit diesen Fragen sind wir schon beim zweiten<br />

Punkt meiner Kritik angelangt: dem Mißverhältnis<br />

zwischen Theorie und Empirie.<br />

Überblicken wir die Ergebnisse der deutschen<br />

Bewegungsforschung, können wir feststellen,<br />

daß es weder an interessanten theoretischen<br />

Aufsätzen, noch an informativen empirischen<br />

Studien mangelt. Das Problem liegt eher in<br />

einer unzureichenden Verbindung zwischen<br />

Theorie und Empirie. Man sucht in den meisten<br />

theoretischen Studien vergeblich nach einer<br />

systematischen empirischen Untermauerung.<br />

Die eine Behauptung wird oft nur durch<br />

andere Behauptungen, oder im günstigsten Fall<br />

durch ad hoc herangetragene Befunde anderer<br />

Studien gestützt. Man gewinnt oft den Eindruck,<br />

daß empirische Forschung in Deutschland<br />

als etwas Zweitrangiges gilt Während<br />

zum Beispiel in den Vereinigten Staaten auch<br />

die „großen" Sozialwissenschaftler in der Bewegungsforschung,<br />

Leute wie Tilly oder Garn-

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