Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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40 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1, 1995<br />
damit Stärken des Tdentitäts-/Differenzansatzes<br />
sind:<br />
(1) Eine oft erhebliche Unterschätzung des relationalen<br />
Distinktionselements in der Entstehung<br />
von ethnischen Kulturen. Smith z.B. gibt<br />
diesem erst in späteren Entwicklungsphasen<br />
einen Ort ('sharpening'). Die Dialektik der<br />
Wahrnehmung und Artikulation des Eigenen<br />
in Abgrenzung zu je Anderen wird damit für<br />
einen imaginären 'Ursprung' stillgestellt. 32<br />
(2) Das fiktive Isolationsmodell befindet sich<br />
doch allzusehr in der Nähe des 'echten' Primordialismus,<br />
den Smith mit den guten und bekannten<br />
Argumenten kritisiert, obwohl er doch<br />
sieht und mit historischen Beispielen belegt,<br />
daß umfangreiche Migrationsbewegungen von<br />
Anfang an eine der wichtigsten Grundlagen<br />
von 'ethnic formation' sind (32 ff.), und daß<br />
alle ethnischen Kulturen in ihrer Entstehung<br />
und Entwicklung 'ethnic forms and traditions'<br />
von anderen, früheren Kulturen auf je verschiedene<br />
Art integrieren und in diesem Sinne<br />
'synkretistisch' sind.<br />
(3) Er ist überhaupt nicht anwendbar auf die<br />
Fälle 'negativer kollektiver Identität', auf 'invention<br />
of tradition', auf nackte Interessenidentität.<br />
Die überragende Bedeutung, welche<br />
Smith der Kultur als Grundlage für kollektive<br />
Identität, Organisation, Mobilisierung und Konflikt<br />
beimißt, erklärt sich von seinem spezifischen<br />
Gegenstand her, dem Falle der 'ethnic<br />
origins of nations', kann jedoch keineswegs<br />
auf alle sozialen <strong>Bewegungen</strong> übertragen werden.<br />
Für viele 'neue' soziale <strong>Bewegungen</strong> gilt<br />
sie sicher nicht. Allgemeiner ansetzende Theorien<br />
oder Pro-Theorien müssen dies also offen<br />
halten.<br />
Die wichtigsten Stärken des kulturalistischen<br />
Ansatzes und damit Schwächen des Identitäts-/<br />
Differenzansatzes sind:<br />
(1) Erklärung der Stabilität, Dauer und der<br />
relativen Autonomie ethnischer Formen und<br />
Traditionen. Dies ist vor allem für die Transformation<br />
von Ethnien in Nationen in der Moderne<br />
von großer Bedeutung. Smith hat überzeugend<br />
die enormen Schwierigkeiten analysiert,<br />
vor denen 'nationbuilders' - z.B. in den<br />
postkolonialen, multi-tribalen afrikanischen<br />
Staaten (147 u.ö.) - stehen, welche nicht auf<br />
gemeinsame und lebendige oder revitalisierbare<br />
ethnische Traditionen und Geschichte zurückgreifen<br />
können, wie immer sie diese selektiv<br />
akzentuieren, abstrahieren, rekonstruieren,<br />
sondern diese erfinden oder ganz auf sie<br />
verzichten müssen. 33<br />
(2) Betonung des Erfahrungskerns all jener<br />
Artikulationen ethnischer Identität, welche auf<br />
gemeinsamer Kultur und erinnerter Geschichte<br />
auf- und weiterbauen: die Rekonstruktion<br />
und Transformation von 'ethnic forms and traditions',<br />
die Rekonstruktion von Geschichte<br />
ist qualitiativ unterschieden von ihrer 'Erfindung'.<br />
34<br />
(3) Herausarbeitung der Grenzen der strategischen,<br />
internen wie externen, Manipulation<br />
kollektiver Identitäten in all jenen Fällen (Smith<br />
1986: 211). 35<br />
Kritik an den Allmachtsillusionen<br />
der 'definierenden Klassen', der Intelligentsia<br />
bei klarer Herausarbeitung ihrer eminenten<br />
Rolle (vgl. 18), Kritik am Überziehen<br />
der, unbestritten großen, Bedeutung von Organisationen<br />
wie Kirchen und Staaten im Prozeß<br />
der Nationenbildung.<br />
(4) Die Betonung der unbewußten und halbbewußten<br />
'ways of thinking and doing', der<br />
praktischen Kenntnis und der Gefühle. 'Thinking<br />
by heart' und 'thinking by and through<br />
tradition' ist für ethmsche Gemeinschaften<br />
ebenso charakteristisch wie es den modernen,<br />
konstruktivistisch-rationalistischen, aufgeklärten<br />
soziologischen Mythenjägern fremd und