Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1, 1995<br />
ist aus der Sicht dieses Ansatzes keine Voraussetzung<br />
der Gruppenbildung, sondern Produkt<br />
von sozialen Kategorisierungsprozessen.<br />
Auch die intergruppale Erklärungsebene ist zur<br />
vollständigen Analyse von <strong>Bewegungen</strong> allein<br />
nicht ausreichend. Doise (1986) hält zusätzlich<br />
eine Analyse auf einer vierten Ebene, einer<br />
ideologischer Ebene, für erforderlich. Eine<br />
solche Analyse ist aus sozialpsychologischer<br />
Sicht allerdings schwierig, denn sie fordert,<br />
sich mit gesellschaftlich jeweils aktuellen Ideologien<br />
zu beschäftigen Wir haben versucht,<br />
uns dieser Ebene zu nähern, indem wir aus der<br />
Perspektive des Social Identity Approach die<br />
Frage studieren, wie Individuen in einem intergruppalen<br />
Kontext Einstellungen, Ideologien<br />
und Utopien gewinnen. Einige der dazu<br />
relevanten Studien werden im Rahmen der<br />
Darstellung des Social Identity Approach präsentiert.<br />
3. Social-Identity-Approach<br />
und die Erklärung<br />
von Ideologisierungsphänomenen<br />
Der Social Identity Approach besteht aus einer<br />
Reihe von Ansätzen, die chronologisch und<br />
inhaltlich aufeinander bezogen sind (zur Übersicht<br />
vgl. auch Abrams/Hogg 1990; Hogg/Abrains<br />
1988; Wagner 1994; Wagner/Zick 1990).<br />
Der Social Identity Approach geht davon aus,<br />
daß Gesellschaften hierarchisch in diskrete soziale<br />
Kategorien geordnet sind, die durch<br />
Macht, Status und Prestigerelationen definiert<br />
sind (ohne eine sorgfältige gesellschaftstheoretische<br />
Fundierung beruft er sich v.a. auf Konflikttheorien<br />
von Weber und Marx; vgl. Hogg/<br />
Abrains 1988). Der Ansatz postuliert ein Menschenbild,<br />
wonach Individuen versuchen, ihre<br />
Wahrnehmungen und Erfahrungen von sich<br />
selbst und von anderen Personen kognitiv zu<br />
vereinfachen und zu ordnen, zu kategorisieren,<br />
damit sie die Welt verstehen und in ihr<br />
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handeln können. Dabei spielen kognitive Kategorisierungsprozesse<br />
die wichtigste Rolle.<br />
3.1 Theorie der Reizklassifikation<br />
Der Social Identity Approach bezieht sich<br />
grundlegend auf Tajfels (1957, 1959) Theorie<br />
der Reizklassifikation (vgl. dazu auch Lilli<br />
1975). Tajfel und andere Autoren haben eine<br />
Reihe von Wahrnehmungsexperimenten durchgeführt,<br />
die zunächst wenig mit Gruppenprozessen<br />
- und noch weniger mit sozialen <strong>Bewegungen</strong><br />
- zu tun zu haben scheinen. In dem<br />
Experiment von Tajfel/Wilkes (1963) wurden<br />
den Versuchspersonen (Vpn) acht Linien unterschiedlicher<br />
Länge präsentiert. Die Linien<br />
wurden jeweils einzeln präsentiert. Die Aufgabe<br />
der Vpn bestand darin, die Länge jeder<br />
Linien einzuschätzen. In einigen experimentellen<br />
Bedingungen waren die Linien systematisch<br />
klassifiziert: Die vier kürzeren Linien<br />
wurden jeweils zusammen mit dem Buchstaben<br />
A präsentiert und die vier längeren Linien<br />
mit dem Buchstaben B. Die Etikettierung führte<br />
zu einer systematischen Verzerrung der Urteile:<br />
Die Unterschiede zwischen den Klassen,<br />
also die Unterschiede zwischen den vier Linien,<br />
die mit unterschiedlichen Buchstaben etikettiert<br />
waren, wurden vergrößert, und die Unterschiede<br />
innerhalb der Klassen, also zwischen<br />
Linien mit derselben Buchstabenbezeichnung,<br />
wurden im Wahmehmungsurteil verringert. Das<br />
Akzentuierungsprinzip besagt: "Die systematische<br />
Klassifizierung einer kontinuierlichen<br />
Stimulusserie führt zu einer verzerrten Wahrnehmung<br />
der Stimuli. Die Klassifizierung auf<br />
der peripheren Dimension hat zur Folge, 1)<br />
daß die Unterschiede zwischen den Klassen<br />
oder Kategorien auf der fokalen Dimension<br />
als größer wahrgenommen werden, als sie tatsächlich<br />
sind (Inter-Klassen-Effekt), und 2) daß<br />
die Unterschiede innerhalb der Klassen oder<br />
Kategorien im Vergleich zur objektiven Reali-