Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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30 FORSCHUNGS JOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1, 1995<br />
nahen" Arbeitern und Produzenten konfrontiert.<br />
Das Resultat dieser kontinuierlichen Neuformulierung<br />
hat die Lega dann Anfang der neunziger<br />
Jahre in die Lage versetzt, zu einem wichtigen<br />
Akteur auf der nationalen politischen<br />
Bühne des Landes aufzutreten. Wesentlich für<br />
das theoretische Argument ist zu sehen, daß<br />
ein solch flexibles Anpassen an die politischstrategischen<br />
Herausforderungen erst durch die<br />
grundlegende Form der kollektiven Identität<br />
möglich wurde. Die kulturelle kollektive Identität<br />
hat die Dynamik und Reichweite der Mobilisierung<br />
strukturiert, die für einen traditionellen,<br />
primordial integrierten Regionalismus<br />
nicht möglich gewesen wäre. Die Form, in der<br />
die ausschlaggebenden Elemente der kollektiven<br />
Identität kodiert sind, bestimmt, in welchem<br />
Rahmen sich die politischen Optionen<br />
des kollektiven Akteurs bewegen.<br />
5. Resümee<br />
In dieser Perspektive kann kollektive Identität<br />
als strukturierendes Moment politischen Konflikts<br />
begriffen und zum Gegenstand empirischer<br />
Forschung gemacht werden. Kollektive<br />
Identität ist keine gegebene Qualität von politischen<br />
Gruppen, sondern das veränderbare<br />
Produkt sozialen Handelns, das in nachvollziehbaren<br />
kulturellen Prozessen konstruiert<br />
wird und sich, um glaubhaft zu bleiben, den<br />
sich wandelnden politischen Bedingungen anzupassen<br />
hat. Die symbolischen Verfahren, in<br />
denen die Gemeinschaft repräsentiert und von<br />
dem 'Anderen' abgegrenzt wird, bilden hierbei<br />
die ausschlaggebenden ideologischen Ressourcen,<br />
deren sich territoriale <strong>Bewegungen</strong><br />
bei der politischen Mobilisierung bedienen. Die<br />
Herausbildung einer kollektiven Identität ist<br />
durch politische opportunities ebenso strukturiert<br />
wie ihre konstitutiven Codes ihrerseits<br />
die Form und Dynamik politischer Mobilisie<br />
rung prägen. Dabei kann die Zugehörigkeit zu<br />
einer kollektiven Identität als solche nicht Gegenstand<br />
des politischen bargaining gemacht<br />
werden; kollektive Identität schafft eine 'nicht<br />
verhandelbare' Basis für politische Mobilisierung<br />
(Pizzorno 1981, 1986). Offen in explizitem<br />
Widerspruch zu den traditionellen 'Volksparteien'<br />
beanspruchen Akteure, die ihren legitimatorischen<br />
Diskurs auf eine starke kollektive<br />
Identität stützen, Kriterien für ein eindeutiges<br />
politisches Orientierungsmuster und<br />
für eine klar umrissene Mitgliedschaft bereitzustellen.<br />
Kollektive Identität schafft auf der<br />
Grundlage einer solch binären Kodierung die<br />
Grundlage für soziale Ein- und Ausschlußverfahren,<br />
deren ein politisches Projekt zu Mobilisierungszwecken<br />
bedarf.<br />
Dies gilt besonders für territoriale <strong>Bewegungen</strong>,<br />
deren Anziehungskraft just in der eindeutigen<br />
Markierung der Grenzen der Gemeinschaft<br />
liegt, die die regionalistische oder nationalistische<br />
Bewegung (Partei) politisch zu<br />
repräsentieren beansprucht. Die politische Mobilisierung<br />
durch einen solchen kollektiven<br />
Akteur ist eng an die Herausbildung bestimmter<br />
sozialkultureller Milieus gebunden, die eine<br />
Neugruppierung sozialer Interessen und die<br />
Formierung eines neuen politischen Subjekts<br />
erst ermöglichen. Regionalistische <strong>Bewegungen</strong><br />
sind wesentlich auf einen Prozeß der<br />
Selbstrepräsentation angewiesen, der die<br />
Grenzziehung zwischen 'Wir' und den 'Anderen'<br />
symbolisch und rituell stabilisiert. Die kollektive<br />
Identität ist hier das Medium, in dem<br />
Gemeinsamkeit als Basis für politische Ansprüche<br />
zuallererst hergestellt wird.<br />
Oliver Schmidtke ist zur Zeit research fellow am<br />
Europäischen Hochschulinstitut in Florenz.<br />
Anmerkung<br />
1<br />
Es ist vor diesem Hintergrund zu sehen, daß es<br />
den traditionellen, primär primordial integrierten