Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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spielt aber auch in der Unterscheidung von<br />
'Klasse an sich' und 'Klasse für sich' bei<br />
Karl Marx eine nicht unwesentliche Rolle und<br />
hat vor allem im 'Kollektivbewußtsein' bei<br />
Dürkheim paradigmatisch Ausdruck gefunden.<br />
Hinsichtlich anderer Bereiche, in denen<br />
der Begriff der kollektiven Identität von Bedeutung<br />
ist, sind sicherlich die Nationenforschung<br />
(Giesen 1991, Haller 1993, Berding<br />
1994), vor allem aber die Soziologie sozialer<br />
<strong>Bewegungen</strong> zu nennen.<br />
Die Erkenntnis, daß gerade kollektive Protestaktionen,<br />
wie sie für soziale <strong>Bewegungen</strong><br />
konstitutiv sind, in besonderem Maße "Wir-<br />
Gefühl' und damit Identitätsversicherung zur<br />
Folge haben können, fährt zu verstärkter<br />
Bezugnahme der Bewegungsforschung auf<br />
Konzepte kollektiver Identität. Dabei werden<br />
Probleme der Vergemeinschaftung und kollektive<br />
Identitätsbildung in der Bewegungsforschung<br />
- etwa unter dem Gesichtspunkt von<br />
Selbst- und Fremdbeschreibung oder von<br />
askriptiven/nicht-askriptiven Merkmalen -<br />
zwar zunehmend thematisiert, analytisch<br />
jedoch weder befriedigend geklärt noch<br />
empirisch ausreichend erforscht. Deshalb ist<br />
mit Veit Michael Bader zu sagen, daß „ sich<br />
die immer wieder betonte große Bedeutung<br />
kollektiver Identität für die Herausbildung<br />
kollektiven Handelns und sozialer <strong>Bewegungen</strong><br />
umgekehrt proportional verhält zur Klärung<br />
der Grundbegriffe und des analytischen<br />
Bezugsrahmens. " (Bader 1991: 104) Von<br />
daher stellt sich die Frage, wie diesem Manko<br />
abgeholfen werden kann.<br />
Ausgehend von der Beobachtung, daß die<br />
Klärung des Begriffs Kollektive Identität<br />
allmählich ein dringendes Anliegen der Bewegungsforschung<br />
darstellt, hat die Forschungsgruppe<br />
Neue <strong>Soziale</strong> <strong>Bewegungen</strong> im<br />
Herbst 1994 eine Tagung mit dem Titel '<strong>Soziale</strong><br />
<strong>Bewegungen</strong> und Kollektive Identität'<br />
FORSCHUNGSJOURNAL NSH. J ,. S. TTi i 1.100*<br />
durchgeführt. Über das interdisziplinäre<br />
Wechselspiel von Bewegungsforschung, Sozialpsychologie<br />
und soziologischer Theorie<br />
wurde versucht, Antworten auf eine Reihe von<br />
Fragen zu geben, wie sie kursorisch problematisiert<br />
wurden. Wir hoffen, die Diskussion<br />
um die Bedeutung kollektiver Identität für das<br />
Verständnis sozialer <strong>Bewegungen</strong> damit ein<br />
Stück weitergebracht zu haben.<br />
In seinem Eröffnungsbeitrag unternimmt Dieter<br />
Rueht, nachdem er auf die zentrale Bedeutung<br />
des Begriffs der kollektiven Identität für<br />
die Bestimmung sozialer <strong>Bewegungen</strong> hingewiesen<br />
hat, den Versuch, die kollektive Identität<br />
sozialer <strong>Bewegungen</strong> in Anlehnung an das Triumvirat<br />
identite, Opposition und totalite von<br />
Alain Touraine in dreierlei Hinsicht zu verstehen:<br />
(1) als einen auf Vernetzungsstrukturen<br />
beruhenden Interaktionszusammenhang, (2) als<br />
aktive Herausforderung einer anderen Gruppe<br />
und (3) als 'Interpret' eines gesellschaftlichen<br />
Konflikts. Schließlich folgen noch, nach der<br />
Diskussion dieser drei Dimensionen mit Verweis<br />
auf neuere Konzepte innerhalb der Bewegungsforschung,<br />
einige Überlegungen zu Pathologiepotentialen<br />
undVerlustrisiken kollektiver<br />
Identität sozialer <strong>Bewegungen</strong>. So kann die<br />
Stabilisierung kollektiver Identität nur erfolgreich<br />
verlaufen, wenn die Balance zwischen<br />
Abschottung einerseits und dem Grenzverlust<br />
durch zu große Öffnung andererseits gelingt.<br />
Was Rucht generell behandelt, sucht Oliver<br />
Schmidtke am Beispiel der regionalen Identität<br />
der Lega Lombarda zu zeigen. Ausgehend von<br />
einem „Analysevorschlag" von Bernhard Giesen<br />
(1993), bestimmt Schmidtke zum einen die<br />
Funktion kollektiver Identität (1) als Homogenisierung<br />
sozialerBeziehungenund (2) als Gewährung<br />
von Kontinuität. Zum anderen operiert<br />
Schmidtke mit einerTypologisierung kollektiver<br />
Identität in eine (a) primordiale, d.h. naturgegebene,<br />
(b) kulturelle, d.h. zugeschriebene und (c)