Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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78 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1, 1995<br />
düngen Einfluß zu nehmen (vgl. Parkin 1968:<br />
4f; Mehlich 1983). Denn zumeist bleibt nur<br />
die Rolle des Betroffenen, der den Entscheidungen<br />
anderer bloß ausgesetzt ist, und von<br />
daher nicht Risiko, sondern Gefahr erfährt,<br />
wenn etwas schief läuft (Luhmann 1990b). Aus<br />
der Sicht des Selbstverwirklichungsmilieus<br />
geht es neben der Erhaltung der internen Einheit<br />
des Milieus vor allem um die „Realisierung<br />
und Verteidigung individueller Autonomie"<br />
(Kriesi 1987: 328), d.h. um Inklusionsprobleme,<br />
die sich aus der Exklusion von zentralen<br />
EntScheidungsprozessen in der Gesellschaft<br />
ergeben und 'Effekfkumulationseffekte',<br />
also Mobilisierung zur Folge haben können.<br />
Letztlich geht es um die Risikoproblematik<br />
und den Konflikt zwischen Betroffenen und<br />
Entscheidern (Luhmann 1991a, Japp 1993:<br />
243f, 249).<br />
(3) Der Protest der neuen sozialen <strong>Bewegungen</strong><br />
benutzt diese Unterscheidung zur Beobachtung.<br />
Sämtliche Protestthemen der neuen<br />
sozialen <strong>Bewegungen</strong> sind dieser Struktur unterworfen.<br />
Ob Natur/Umwelt, Frauen, Dritte<br />
Welt, Frieden oder alternative Lebensformen,<br />
immer geht es um den Anspruch auf Selbstbestimmung<br />
und die Differenz von Betroffenheit<br />
und Entscheidung, die dem Protest zugrunde<br />
liegt: der Natur gegenüber der Kultur, der Frauen<br />
gegenüber den Männern, der armen gegenüber<br />
den reichen Ländern, jener, die nicht für<br />
andere in den Krieg ziehen wollen, oder jener,<br />
die sich nicht den Lebensgewohnheiten anderer<br />
unterwerfen, sondern selbstbestimmt leben<br />
wollen. Dadurch aber werden Themen gewählt,<br />
die in Verbindung mit der Form des Protestes<br />
vor allem den Zentralwert des Selbstverwirklichungsmilieus<br />
zum Ausdruck bringen und<br />
klar machen, daß man nicht bereit ist, sich in<br />
seinem Anspruch auf Autonomie einschränken<br />
zu lassen. Dies macht auch klar, daß der<br />
universale Anspruch der neuen sozialen <strong>Bewegungen</strong><br />
nicht nur insofern legitim ist, als<br />
ihre Themen deutlich machen, daß es um das<br />
Verhältnis von Selbst- und Fremdbestimmung<br />
geht, sowohl im lokalen Umfeld als auch im<br />
globalen Maßstab, sondern daß es sich auch<br />
um Probleme handelt, die nicht bloß fürs Milieu,<br />
sondern für die Gesellschaft insgesamt<br />
von Bedeutung sind. Das gilt gerade für Risikothemen.<br />
Vor allem aber führen die neuen<br />
sozialen <strong>Bewegungen</strong> sich und der Gesellschaft<br />
damit vor Augen, daß es dieses Milieu noch<br />
gibt, und daß es für seine Ziele durch öffentliche<br />
Aktion und nötigenfalls auch mit Gewalt<br />
einzutreten bereit ist. Indem sie dazu aber bereit<br />
sind, erreichen sie zweierlei: Einerseits<br />
bringen sie das Gesetz des Handelns auf ihre<br />
Seite, und indem ihnen das gelingt, setzen sie<br />
sich gegen ihre Betroffenheit zur Wehr und<br />
suchen auf Entscheidungen Einfluß zu nehmen:<br />
Ein Akt der Autonomie, Beweis für die<br />
Existenz des Milieus. Indem sie aber Einfluß<br />
zu nehmen suchen auf jene Entscheidungen,<br />
denen sie ihre Erwartungsenttäuschungen zurechnen,<br />
suchen sie andererseits die ihrem Protest<br />
zugrunde liegende Erwartungshaltung zu<br />
restituieren, was nichts anderes heißt, als den<br />
Zentralwert und damit die Identität des ihnen<br />
zugrunde liegenden Milieus zu stabilisieren:<br />
Selbsterhaltung des Milieus. Resultat ist jedenfalls,<br />
daß der Protest das Milieu seiner Identität<br />
versichert.<br />
5. Schluß<br />
Ziel und Zweck der angestellten Überlegungen<br />
ist es, dem Zusammenhang von sozialen<br />
<strong>Bewegungen</strong> und kollektiver Identität theoretisch<br />
wie methodisch nachzugehen. Dazu wird<br />
angenommen, daß Identität generell erst dann<br />
zu einem Thema ist, wenn sie zu einem Problem<br />
wird, d.h. wenn die Identität eines selbstreferentiellen<br />
Systems auf dem Spiel steht. Ist<br />
das der Fall, bildet dieses System ein Subsystem<br />
aus, das die Funktion hat, auf die Systemidentität<br />
zu reflektieren, um einen System-