Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1, 1995<br />
son, das Sammeln eigener Daten zur Unterstützung<br />
ihrer Theorien nicht scheuen, scheint<br />
es manchmal, als ob in Deutschland wirkliche<br />
„Größe" dadurch gekennzeichnet wird, daß<br />
man sich vom empirischen Handwerk fernhält.<br />
Da die so zustandegekommenen Theorien<br />
nicht mit Blick auf konkrete empirische<br />
Forschungsergebnisse oder -vorhaben entwikkelt<br />
wurden, sind sie auch für andere Wissenschaftler<br />
empirisch nur schwer operationalisierbar.<br />
Genau das entgegengesetzte Problem findet<br />
man bei vielen empirischen Stadien. Die große<br />
Mehrheit der empirischen Stadien über deutsche<br />
soziale <strong>Bewegungen</strong> bleibt, ohne den<br />
Reichtum ihrer Befunde schmälern zu wollen,<br />
häufig in reiner Beschreibung stecken. Wie es<br />
im umgekehrten Sinne bei den theoretischen<br />
Stadien der Fall ist, findet man hier zwar oft<br />
in den einführenden Kapiteln und im empirischen<br />
Teil vereinzelt theoretische Verweise,<br />
aber diese haben meistens keine systematische<br />
Funktion. Oft wird eine ganze Reihe theoretischer<br />
Ansätze nebeneinander herangezogen,<br />
aus denen eine Fülle von potentiell relevanten<br />
Variablen abgeleitet wird. Das typische Ergebnis<br />
solcher Studien ist dann, daß all diese Variablen<br />
auch tatsächlich für die Entwicklung<br />
von Bewegung X oder Y von Bedeutung gewesen<br />
sind. Damit bleibt die „theoretische"<br />
Erklärung, die am Ende herauskommt, oft genauso<br />
schwer faßbar wie die Realität, die sie<br />
erklären soll. Viel zu selten findet man Studien,<br />
in denen versucht wird, Theorien wirklich<br />
zu testen, oder relevante von weniger relevanten<br />
Variablen zu trennen.<br />
Infolgedessen gibt es in der deutschen Bewegungsforschung<br />
eine ganze Reihe von theoretischen<br />
Ansätzen, die nie empirisch überprüft<br />
worden sind, sowie eine beeindruckende Menge<br />
an empirischem Material, welches nie richtig<br />
theoretisch ausgewertet wurde. Was die<br />
93<br />
deutsche Bewegungsforschung m.E. braucht<br />
und was sie glücklicherweise auch in zunehmendem<br />
Maße hervorbringt, sind empirieorientierte<br />
Theorien sowie wirklich theoriegesteuerte<br />
empirische Studien. Daß solche Studien<br />
bisher in unzureichendem Maße vorliegen,<br />
hängt mit dem dritten Problem zusammen,<br />
nämlich mit der methodischen Unterentwicklung.<br />
Nur wenige der vorhandenen empirischen<br />
Studien beruhen auf einer systematischen Datenbasis,<br />
und von einer systematischen Datenanalyse<br />
kann noch weniger die Rede sein.<br />
Wichtigste Datenquelle ist meistens bereits existierende<br />
Literatur, einschließlich eher journalistischer<br />
Arbeiten und von Bewegungsteilnehmem<br />
selbst verfaßte Aufsätze. Dazu kommt<br />
dann Bewegungsmaterial wie Zeitschriften und<br />
Flugblätter, und was sonst noch in den meist<br />
sehr unsystematischen, bewegungseigenen Archiven<br />
vorhanden ist, ein bißchen teilnehmende<br />
Beobachtung oder beobachtende Teilnahme<br />
- und wenn man Glück hat, kommen noch<br />
ein paar Interviews, gekoppelt mit zufällig vorhandenen<br />
Umfragedaten, hinzu.<br />
Solches meist qualitatives Material kann durchaus<br />
sehr nützlich und informativ sein und<br />
scheint zumindest sehr geeignet für beschreibende<br />
Zwecke. Aber sogar hier kann es infolge<br />
der Art des Materials leicht zu verfälschten<br />
Resultaten kommen. Erstens besteht die Gefahr,<br />
daß durch die Abhängigkeit von Informationen,<br />
die zu einem großen Teil von den<br />
<strong>Bewegungen</strong> selbst verfaßt worden sind, das<br />
Selbstbild der <strong>Bewegungen</strong> einfach reproduziert<br />
wird. Dies ist ein Vorwurf, der der Bewegungsforschung,<br />
nicht ganz zu unrecht, oft gemacht<br />
wird. Zweitens gab es in der Vergangenheit<br />
mehrfach den Versuch, aufgrund des<br />
qualitativen Materials auch quantitative Aussagen,<br />
z.B. über die Mobilisierungsstärke einer<br />
Bewegung in einer bestimmten Periode,<br />
zu machen. Daß man sich auch hier leicht<br />
irren kann, zeigen die in den letzten Jahren