Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1, 1995<br />
tutionalisiert, was für eine größere quantitative<br />
und qualitative Kontinuität der deutschen<br />
Bewegungsforschung gesorgt hat. Dazu hat<br />
auch der relativ hohe Grad an Selbstreflektion<br />
beigetragen, wie sie sich vor allem in der Reihe<br />
„Bewegungswissenschaft in der Diskussion"<br />
im <strong>Forschungsjournal</strong> Neue <strong>Soziale</strong> <strong>Bewegungen</strong><br />
niedergeschlagen hat. All dies<br />
täuscht jedoch nicht darüber hinweg, daß ich<br />
die Zukunft der deutschen Bewegungsforschung<br />
nicht unbedingt als gesichert betrachte.<br />
Das hat unter anderem mit der starken Konzentration<br />
auf die neuen sozialen <strong>Bewegungen</strong>,<br />
auf die ich im weiteren noch eingehen<br />
werde, zu tun.<br />
Eine dritte und letzte Relativierung betrifft die<br />
positiven Entwicklungen, die ich in den letzten<br />
Jahren wahrnehme. Einige Studien jüngeren<br />
Datums und bereits laufende Projekte lassen<br />
hoffen, daß sich die deutsche Bewegungsforschung<br />
schon in die Richtung bewegt, die<br />
ich im Folgenden befürworten werde. Es kann<br />
daher auch sein, daß mancher von Ihnen findet,<br />
daß viel von dem, was ich sagen werde,<br />
schon überholt ist. Dennoch meine ich, daß<br />
sich diese positiven Entwicklungen vorerst<br />
noch nicht genügend durchgesetzt haben, um<br />
uns zu erlauben, sich zufrieden zurückzulehnen.<br />
Gehen wir nun zur Sache über. Meine Kritik<br />
konzentriert sich auf vier Aspekte, die ich mit<br />
den Schlagwörtern Begriffsfundamentalismus,<br />
Mißverhältnis zwischen Theorie und Empirie,<br />
methodischer Unterentwicklung und Überkonzentration<br />
auf Neue <strong>Soziale</strong> <strong>Bewegungen</strong> andeuten<br />
will.<br />
Der Begriffsfundamentalismus stellt für mich<br />
als Nichtdeutschen vielleicht das auffälligste<br />
Strukturmerkmal deutscher Wissenschaftskultur<br />
dar. Wer deutschen Wissenschaftlern gegenüber<br />
einen Satz wie den vorhergehenden<br />
91<br />
benutzt, muß damit rechnen, daß sich die anschließende<br />
Diskussion nicht so sehr mit der<br />
inhaltlichen Seite der Behauptung beschäftigt,<br />
sondern eher mit Fragen wie: „Welchen Strukturbegriff<br />
benützen Sie?", „Was verstehen Sie<br />
unter Kultur?" und nicht zuletzt „Wie verhält<br />
sich Ihre Definition von Kultur und/oder Struktur<br />
zu der von Habermas, Luhmann und/oder<br />
Weber?" Ohne Zweifel wichtige Fragen, und<br />
ich will an dieser Stelle auch nicht dafür plädieren,<br />
solche grundsätzlichen Fragen ganz auszuklammern,<br />
wie es zum Beispiel in einem<br />
großen Teil der amerikanischen Sozialwissenschaften<br />
geschieht. Dennoch bin ich der Meinung,<br />
daß ein wenig mehr Begriffspragmatismus<br />
eine läuternde Wirkung auf die deutschen<br />
Sozialwissenschaften haben würde.<br />
In der Bewegungsforschung tritt der Begriffsfundamentalismus<br />
vor allem in Diskussionen<br />
zur Definition „<strong>Soziale</strong>r <strong>Bewegungen</strong>" und<br />
„Neuer <strong>Soziale</strong>r <strong>Bewegungen</strong>" zutage. Vor kurzem<br />
fand am WZB eine Tagung über Rechtsextremismus<br />
unter dem Titel „Eine soziale Bewegung<br />
von rechts?" statt. Angesichts der Welle<br />
rechtsextremer Gewalt in den letzten Jahren<br />
in Deutschland schien mir eine solche Tagung<br />
von Bewegungswissenschaftlern längst überfällig.<br />
Gespannt erwartete ich Analysen, in denen<br />
zum einen versucht wird, das Aufkommen<br />
rechtsextremer Gewalt mit dem in der Bewegungsforschung<br />
entwickelten Instrumentarium<br />
zu erklären, und zum anderen eine Antwort<br />
auf die Frage, inwieweit sich die vor allem aus<br />
der Untersuchung neuer sozialer <strong>Bewegungen</strong><br />
gewonnenen Ergebnisse auch für einen ganz<br />
anderen Bewegungstypus wie den Rechtsextremismus<br />
bewähren. Leider brachte die zweitägige<br />
Konferenz in dieser Hinsicht nur wenig.<br />
Die Mehrheit der Beiträge und in noch<br />
viel stärkerem Maße die Diskussion befaßten<br />
sich stattdessen mit der akademischen Frage,<br />
ob denn der Rechtsextremismus überhaupt eine<br />
soziale Bewegung sei, und wenn ja, ob diese