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Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG, 8, HEFT 1, 1995 53<br />

beiden anderen Gruppen hielten sich Ähnlichkeiten<br />

und Unterschiede jedoch die Waage.<br />

Während also in der Kontrollgruppe eher das<br />

individuelle Selbst überwog, veränderte sich<br />

in den beiden „Schicksalsgruppen" die relative<br />

Gewichtung von individuellem und kollektivem<br />

Selbst zugunsten des letzteren. Ein Übergewicht<br />

des kollektiven Selbst war allerdings<br />

auch in diesen Gruppen nicht zu verzeichnen,<br />

was möglicherweise auf ein zu schwaches experimentelles<br />

Treatment zurückzuführen ist.<br />

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang<br />

fernerhin, daß sich diese Gewichtsverlagerung<br />

zugunsten des kollektiven Selbst unabhängig<br />

von der Qualität der erinnerten Episode vollzog.<br />

Man hätte erwarten können, daß eine Bedrohungssituation<br />

zusätzliche Gefühle der<br />

Gruppensolidarität mobilisieren und somit das<br />

kollektive Selbst weiter in den Vordergrund<br />

rücken würde als eine Situation, in der Schwule<br />

besonders gut behandelt wurden. Die Abwesenheit<br />

eines entsprechenden Unterschieds deutet<br />

somit darauf hin, daß die Entwicklung eines<br />

kollektiven Selbst nicht notwendigerweise<br />

von einer gemeinsam erfahrenen Unterdrükkung<br />

abhängt, sondern auch durch sozial geteilte<br />

positive Erfahrungen angeregt werden<br />

kann.<br />

Als Resümee läßt sich festhalten: Die Mobilisierungs-<br />

und Stabilisierungschancen sozialer<br />

<strong>Bewegungen</strong> steigen mit der stärkeren Gewichtung<br />

des kollektiven (relativ zum individuellen)<br />

Selbst innerhalb der relevanten Klientel.<br />

Die relative Gewichtung von individuellem und<br />

kollektivem Selbst ist allerdings keine statische<br />

Größe. Vielmehr weist sie ein hohes Maß<br />

an Variabilität als Funktion des sozialen (bzw.<br />

sozial-kognitiven) Kontextes auf. Sicherlich ist<br />

für Schwule als Mitglieder einer stigmatisierten<br />

Minderheit die Betonung des kollektiven<br />

Selbst nicht unproblematisch. Andererseits lassen<br />

sich aber auch förderliche sozial-kontextuelle<br />

Bedingungen für die Betonung des kol­<br />

lektiven Selbst von Schwulen spezifizieren.<br />

„Gemeinsame Schicksalserfahrungen" und die<br />

gezielte Hervorhebung bzw. Konstruktion<br />

ebensolcher gehören dazu, und das sicherlich<br />

nicht nur im Rahmen von Laborexperimenten.<br />

Den Protagonisten der Schwülen-Bewegung<br />

ist diese Einsicht nicht verborgen geblieben.<br />

Davon zeugen ihre immer wiederkehrenden<br />

Hinweise auf die tausendfache Ermordung<br />

schwuler Männer (und lesbischer Frauen) durch<br />

die Nazis. Und auch in der aktuellen „Antischwule-Gewalt'-Kampagne<br />

des SVD (Schwulenverband<br />

in Deutschland) sind Elemente der<br />

Hervorhebung bzw. Konstruktion „gemeinsamer<br />

Schicksalserfahrungen" erkennbar.<br />

6. Zusammenfassung und Ausblick<br />

Aus sozialpsychologischer Perspektive setzt<br />

sich eine soziale Bewegung aus Personen zusammen,<br />

die sich nicht als Individuen, sondern<br />

als Vertreter einer sozialen Kategorie bzw.<br />

Gruppe verstehen, und die gemeinschaftlich<br />

einen sozialen Wandel herbeiführen wollen.<br />

Selbst-Interpretation als Gruppenmitglied (d.h.<br />

Priorisierung des kollektiven Selbst gegenüber<br />

dem individuellen Selbst) wird damit zur entscheidenden<br />

sozialpsychologischen Grundlage<br />

sozialer <strong>Bewegungen</strong>.<br />

Im Falle stigmatisierter Minderheiten (z.B.<br />

schwuler Männer) können insbesondere Selbst-<br />

Stereotypisierungen als Kristallisationspunkt<br />

kollektiver Selbst-Interpretationen fungieren<br />

und somit zum Aufbau eines kollektiven Selbst<br />

beitragen. Andererseits ist jedoch damit zu<br />

rechnen, daß der Aufbau eines kollektiven<br />

Selbst durch Selbst-Stereotypisierungen erschwert<br />

wird, wenn diese die Übernahme negativer<br />

Selbst-Bewertungen implizieren. Diese<br />

Widersprüchlichkeit verweist auf den Janus-Kopf<br />

von Selbst-Stereotypisierungen seitens<br />

der Angehörigen von stigmatisierten Minderheiten.<br />

So ist zum einen davon auszuge-

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