Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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20 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1, 1995<br />
<strong>Bewegungen</strong>, die sozial sehr heterogen sind<br />
und/oder deren Gemeinsamkeit vor allem auf<br />
bestimmten moralischen Standards und hochgradig<br />
umstrittenen Problemdeutungen (etwa<br />
Solidaritätsbewegungen für die Dritte Welt)<br />
beruht. (3) Schließlich ist anzunehmen, daß<br />
<strong>Bewegungen</strong>, die mit einem klar identifizierbaren<br />
und starken, aber nicht exzessiven<br />
Druck 23<br />
ausübenden Gegner konfrontiert sind,<br />
Anmerkungen<br />
1<br />
Vgl. etwa Heberle (1949: 349), Touraine (1973:<br />
361f.), Raschke (1985: 155ff.) und Melucci (1988).<br />
Altere Ansätze operierten mit Begriffen wie esprit<br />
de corps und morale (z.B. Blumer 1939).<br />
Aber auch bei einigen neueren Klassikern - etwa<br />
Smelser und Turner/Killian - spielt der Begriff<br />
ceteris paribus in ihrem Zusammenhalt und<br />
damit in ihrer kollektiven Identität eher gestärkt<br />
werden. Dagegen werden <strong>Bewegungen</strong>,<br />
die auf diffuse bzw. sehr heterogene Reaktionen<br />
in ihrer Umwelt stoßen, vermehrte Anstrengungen<br />
unternehmen müssen, um sich<br />
überhaupt als distinktes Kollektiv zu erhalten<br />
und als solches zu präsentieren. Oft versuchen<br />
die Gegner von <strong>Bewegungen</strong>, sich diesen Sachverhalt<br />
durch die Strategie von Zuckerbrot und<br />
Peitsche zunutze zu machen.<br />
Zum zweiten erfordert „angemessene" Bewegungsidentität<br />
die Fähigkeit zu kollektivem<br />
Lernen und damit zu Identitätsflexibilität. 24<br />
kollektive Identität keine Rolle.<br />
2<br />
Für eine Ausnahme vgl. Bader (1991: Kap. 4).<br />
Theoretisch und konzeptionell unergiebig, aber<br />
reichhaltig an Deskriptionen ist die Arbeit von<br />
Klapp (1969).<br />
3<br />
Laut Duden bezeichnet Identität (von lateinisch<br />
idem: eben der, ein und derselbe) die „vollkommene<br />
Gleichheit bzw. Übereinstimmung zweier<br />
Dinge oder Personen; Einerleiheit, Wesensgleichheit;<br />
Echtheit". Zur Begriffsgeschichte vgl. Niethammer<br />
(1994).<br />
4<br />
Zu den Klassikern dieser Perspektive gehören<br />
Mead (1934), Goffman (1959), Strauss (1959) und<br />
McCall/Simmons (1966). CG. Jungs Gegenüber<strong>Bewegungen</strong>,<br />
die beispielsweise einem Wandel<br />
stellung von „Selbst" und „Persona" entspricht<br />
weitgehend dem Begriffspaar von personaler und<br />
sozialer Identität (dazu Goffman 1963). De Levita<br />
(1971: 194) bezeichnet mit Identität die einzigartige<br />
Kombination der Rollen eines bestimmten<br />
ihrer sozialen Basis oder völlig neuen politi Individuums, mit Individualität dagegen die beschen<br />
Kontextstrukturen nicht Rechnung trasondere Art, in der Rollen ausgeübt werden.<br />
gen, sondern an ihren einmal erworbenen struk 5<br />
Hierbei lassen sich prozeßorientierte Perspektiturellen,<br />
strategischen und ideologischen Merkven (H. Blumer, E. Goffman, E.A. Weinstein)<br />
malen starr festhalten, laufen Gefahr, anachro und strukturell orientierte Perspektiven (S. Strynistisch<br />
zu werden und ihre Interventionsmögker, G.J. McCall/ J.L. Simmons, C. Gordon) unlichkeiten<br />
zu verpassen.<br />
terscheiden. Vgl. dazu den informativen Überblick<br />
von Gecas (1982).<br />
6<br />
Richtungweisend ist die Definition von Erikson<br />
Inwieweit derartige Annahmen tragen, inwie<br />
(1966: 107): „Das Gefühl der Ich-Identität ist das<br />
weit grundsätzlich das Studium gescheiterter<br />
angesammelte Vertrauen darauf, daß der Einheit<br />
kollektiver Identitätsbildung zur analytischen<br />
lichkeit und Kontinuität, die man in den Augen<br />
und empirischen Durchdringung von Bewe anderer hat, eine Fähigkeit entspricht, eine innere<br />
gungsidentität taugt, ließe sich am besten in Einheit und Kontinuität aufrechtzuerhalten." Vgl.<br />
konkreten Fallstudien überprüfen. Hier steht auch Habermas (1976).<br />
die Bewegungsforschung vor Neuland.<br />
7<br />
Der Eindeutigkeit halber verwende ich im folgenden<br />
nicht den Begriff soziale Identität im Zu<br />
Dieter Rucht arbeitet in der Abteilung Öffentsammenhang mit kollektiver Identität. Sachlich<br />
lichkeit und soziale <strong>Bewegungen</strong> im Wissen spricht jedoch nichts gegen das Vorgehen von<br />
schaftszentrum Berlin.<br />
Bader (1991: 105), der soziale Identität als Ober-