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Vollversion (5.75 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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16 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1, 1995<br />

kollektiven Protest kaum aus, um die <strong>Bewegungen</strong><br />

als legitim erscheinen zu lassen. Da<br />

<strong>Bewegungen</strong> fast durchweg diesem Anspruch<br />

genügen wollen und schon deshalb, aber auch<br />

um die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung<br />

zu erhöhen, um möglichst breite öffentliche<br />

Zustimmung werben, kommt expliziten Deutungsstrategien<br />

(Framing) in bezug auf Gegnerschaft,<br />

Konfliktinhalt und eigene Rolle eine<br />

besondere Rolle zu. Diese Deutungen sind ein<br />

wichtiges Medium kollektiver Identitätsstiftung.<br />

Sie reichen von knappen Parolen über<br />

Kurztexte, etwa in Form von Flugblättern und<br />

Resolutionen, bis hin zu ausführlichen Traktaten,<br />

in denen detailliert auf Problemdeutungen,<br />

Verursacher, Motive und Begründungen,<br />

Ziele und Handlungsstrategien eingegangen<br />

wird.<br />

Die empirische Framing-Analyse steckt noch<br />

in den Kinderschuhen. Erste Arbeiten in diesem<br />

Bereich haben jedoch die prinzipielle Bedeutung<br />

von Frames sowie Wege ihrer Erfassung<br />

demonstriert (Snow/Benford 1988; Gerhards/Rucht<br />

1992). Bei der Analyse kollektiver<br />

Identität wäre vor allem auf identity frames<br />

zu achten, in denen das Selbstbild einer<br />

Bewegung hinsichtlich ihrer Strukturmerkmale,<br />

Protestpraxis und Zielsetzung zum Ausdruck<br />

gebracht wird. Allerdings wäre es verfehlt,<br />

allein über explizite Deutungen die identitätsbestimmenden<br />

Momente der Bewegungsstruktur<br />

und Protestpraxis herauszufiltern.<br />

Manche Aspekte mögen in ihrer identitätsstiftenden<br />

Funktion latent bleiben oder aber so<br />

evident sein, daß sie nicht zum Gegenstand<br />

des Framing werden.<br />

Mit der Behauptung der konstitutiven Rolle<br />

dieser drei Dimensionen von Bewegungsidentität<br />

verbindet sich nicht notwendig die Vorstellung,<br />

ihnen käme jeweils ein gleicher Rang<br />

zu Vielmehr steht zu erwarten, daß sie für<br />

einzelne Bewegungstypen (innen- und außen­<br />

geleitete, expressive und instrumentelle <strong>Bewegungen</strong>)<br />

bzw. Bewegungsphasen unterschiedliche<br />

Bedeutung besitzen.<br />

c) Wird die Annahme der Zentralität dieser<br />

drei Dimensionen für die Formierung und Stabilisierung<br />

von Bewegungsidentität geteilt, so<br />

ergeben sich daraus mindestens zwei allgemeine<br />

methodologische Konsequenzen. Erstens<br />

sollten sich Analysen kollektiver Identität nicht<br />

allein auf die Selbstdeutungen der Bewegung<br />

stützen, sondem Fremdbilder der Bewegung<br />

mit erheben. Dabei zutage tretende Differenzen<br />

könnten in dem Sinne instmktiv sein, als<br />

sie Identitätsaspekte erhellen, die nur einer Seite<br />

sichtbar sind. Zweitens ist die Erschließung<br />

von Bewegungsidentität nicht oder nicht vorrangig<br />

auf das Verfahren individueller Befragung<br />

angewiesen, sondern kann sich auf das<br />

organisatorische Substrat von Gemeinschaft,<br />

kollektive Proteste und Frames als „soziale<br />

Tatsachen" im Sinne von Dürkheim konzentrieren.<br />

Kollektive Identität stellt ein emergentes<br />

Phänomen dar. Dieses ist nicht reduzierbar<br />

auf die Addition bzw. den kleinsten gemeinsamen<br />

Nenner individueller Wahrnehmungen der<br />

Personen, die sich der Bewegung zurechnen.<br />

Das Zusammenwirken von Personen und Gruppen<br />

erzeugt vielmehr Objektivationen kollektiver<br />

Identität, denen die Perspektive des methodologischen<br />

Individualismus kaum gerecht<br />

werden kann. Nicht zufällig findet das Identitätskonzept<br />

hier keine Beachtung (vgl. z.B.<br />

Hechter 1987).<br />

Auch wenn für die genannten Dimensionen<br />

und Variablen empirische Beschreibungen und<br />

teilweise auch Messungen möglich sind, so<br />

dürfte es am Ende doch schwerfallen, damit in<br />

einem normativen Sinne die „Qualität" von<br />

Bewegungsidentität einzuschätzen. Haben wir<br />

Maßstäbe um zu beurteilen, wann kollektive<br />

Identität als angemessen, defizitär oder kon-

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