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!70 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 1, 1995<br />

ebene, und dabei wird die 'Klassenidentität'<br />

des Systems thematisiert.<br />

Geht man von dieser Beobachtung aus, so kann<br />

man drei Dimensionen unterscheiden, mit denen<br />

ein autopoietisches System konfrontiert<br />

ist: (1) Normalverlauf, (2) Krise und (3) Katastrophe.<br />

(1) Im Falle des Normalverlaufs läuft die Autopoiesis<br />

auf der Strukturebene ab. Sollten Probleme<br />

mit der Reproduktion auftreten, so können<br />

kleinere Modifikationen am bestehenden<br />

Strukturbestand vorgenommen werden, ohne<br />

daß gleich ein kompletter Strukturwandel erforderlich<br />

wird.<br />

(2) Im Falle einer Krise muß der bestehende<br />

Strukturbestand dagegen ausgetauscht werden,<br />

weil selbst größere Modifikationen in der Regel<br />

nicht mehr helfen. In diesem Moment<br />

wechselt das System kurzzeitig von der Struktur-<br />

auf die Organisationsebene, was zur Versicherung<br />

seiner Klassenidentität führt, um die<br />

bisherige Struktur gegen eine neue auszutauschen,<br />

die besser paßt. Die drohende Unterbrechung<br />

der Autopoiesis wegen eines erforderlich<br />

werdenden Strukturwandel wird quasi<br />

auf der Organisationsebene überbrückt (vgl.<br />

Bühl 1988).<br />

(3) Im Falle einer Katastrophe nützt aber selbst<br />

der Versuch, einen Strukturwandel vorzunehmen,<br />

nichts mehr. Die Autopoiesis läßt sich<br />

auch durch den Rückzug auf die Organisationsebene<br />

nicht mehr retten, so daß es nicht<br />

mehr nur um einen Strukturwandel, sondern<br />

um einen Organisationswandel geht, was einer<br />

Katastrophe gleichkommt („zerstörende<br />

Interaktion"). Denn damit verändert das System<br />

seine 'Klassenidentität' und wird ggf. zu<br />

einem anderen System, um die Autopoiesis<br />

dann erneut aufzunehmen. Aber dann würde<br />

es sich um ein neues System mit einer anderen<br />

Identität handeln (vgl. Bühl 1987, 1988: 34ff).<br />

Was in diesem Zusammenhang interessiert, ist<br />

der Fall der Krise, d.h. der Rückzug auf die<br />

Organisationsebene, um einen erforderlich werdenden<br />

Strukturwandel vorzunehmen. Denn im<br />

Falle eines Strukturwandels sieht sich das System<br />

gezwungen, sich seiner Identität zu vergewissern,<br />

um entscheiden zu können, welche<br />

neue Struktur es gegen die alte austauschen<br />

soll. Es wird deshalb davon ausgegangen, daß<br />

Identität erst ein Thema ist, wenn ein derartiger<br />

Strukturwandel erforderlich wird. Im Normalfall<br />

wird Identität als selbstverständlich<br />

vorausgesetzt, im Katastrophenfall hört sie auf<br />

zu sein. 'Identität im Übergang' (Sommer<br />

1988): Das ist es, was Eriksons Begriff der<br />

Ich-Identität bezeichnet und interessant macht,<br />

die Erfahrung, die ein Kind beim Übergang<br />

von einer Phase zur nächsten macht und die es<br />

zwingt, sich zu entscheiden, was es festhält<br />

und was es losläßt. 2<br />

Dabei kann es schlimmstenfalls<br />

zur Tdentitätsdiffusion' kommen, also<br />

dazu, daß Kinder die Erfahrung der „Unfähigkeit<br />

ihres Ichs zur Bildung einer Identität"<br />

(Erikson 1970: 154) machen. Das ist zwar nicht<br />

die Regel, symbolisiert aber die durchaus realistische<br />

Möglichkeit des Mißlingens.<br />

2. Zur Identität sozialer Systeme<br />

Da die Theorie autopoietischer Systeme von<br />

Maturana die Geltung dieses Modells auf lebende<br />

und psychische Systeme beschränkt, wir<br />

es aber mit sozialen <strong>Bewegungen</strong> zu tun haben,<br />

soll im weiteren auf die Theorie sozialer<br />

Systeme von Niklas Luhmann zurückgegriffen<br />

werden. Bezüglich der Beziehung, die Maturana<br />

zwischen Organisation und Struktur beschreibt,<br />

findet sich auch bei Luhmann ein<br />

funktional äquivalentes Verhältnis, und zwar<br />

für Funktionssysteme anhand der Unterscheidung<br />

von Codierung und Programmierung.

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