Wettbewerber- Report Eisenbahn 2010/2011 - Mofair
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Notfalloption Direktvergabe<br />
In die positive Resonanz auf das BGH-<br />
Urteil mischen sich kritische Stimmen,<br />
nach denen die Direktvergabe als Rettungsanker<br />
in Ausnahmefällen unverzichtbar<br />
sei, was gesetzlich klargestellt werden<br />
müsse. Als mögliche Notsituationen<br />
werden z. B. die erwartete Flut an Wettbewerbsverfahren,<br />
die weder Aufgabenträger<br />
noch EVU bewältigen könnten, oder komplexe<br />
mehrjährige Bauzustände genannt.<br />
Bevor die nach acht Jahren Schwebezustand<br />
geschaffene Rechtsklarheit wieder<br />
in Frage gestellt wird, sollte zunächst der<br />
Spielraum des geltenden Vergaberechts<br />
ausgelotet werden. Folgende Verfahrensoptio<br />
nen bietet das Vergaberecht an:<br />
• Scheitert ein förmlich durchzuführendes<br />
Verfahren, sieht das Vergaberecht in der<br />
Folge ein Verhandlungsverfahren ohne<br />
Teilnahmewettbewerb vor. Dies läuft im<br />
Ergebnis auf die bekannten Verfahren<br />
wie die Preisanfrage hinaus.<br />
• Darüber hinaus dürfen die Wettbewerbsfahrpläne<br />
nach geltendem Recht<br />
in Grenzen gestreckt oder entzerrt<br />
werden. Zum Beispiel sind prinzipiell<br />
Nachbestellungen von Leistungen bis<br />
zu 20 % der Vertragsmenge möglich.<br />
Instru men tell ist auch eine Ausweitung<br />
der Laufzeit vorstellbar.<br />
• Wer die Option nach § 4 Abs. 3 Nr. 2<br />
VgV noch nicht ausgeschöpft hat, kann<br />
auch heute noch große langlaufende<br />
Verkehrsverträge über längstens zwölf<br />
Jahre mit Abschmelzplan abschließen<br />
bzw. einzelne Linien bis zu drei Jahre<br />
direkt vergeben. Allerdings ist die Ausnahmeregelung<br />
– vorerst – bis Ende<br />
2014 befristet.<br />
Fazit: Das Vergaberecht bietet grundsätzlich<br />
Möglichkeiten, den Bedingungen einer<br />
Vergabe komplexer Verkehrsverträge Rechnung<br />
zu tragen. Auch die vertragliche Gestaltung<br />
der Risikoallokation kann ein probates<br />
Mittel sein, bestimmte Sonderlagen<br />
zu entschärfen. So kann die Vergabe von<br />
Bruttoverträgen dazu dienen, den EVU ein<br />
unverhältnismäßiges Erlös risiko bei vergabekritischen<br />
Wirkungen von Bauzuständen<br />
im Schienennetz abzunehmen.<br />
Inwieweit es einen Bedarf gibt, die Direktvergabeoption<br />
für den <strong>Eisenbahn</strong>bereich<br />
nach dem EG-Recht ins nationale<br />
Recht zu übertragen, und wenn ja: auf welchem<br />
Wege dies geschehen könnte, wird<br />
in der Fachöffentlichkeit und seitens des<br />
Gesetzgebers kontrovers diskutiert. Da eine<br />
Wiedergabe dieser Debatte den Rahmen<br />
des Berichts sprengen würde, wird auf eine<br />
Darstellung der Positionen verzichtet.<br />
Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass<br />
die Direktvergabe vielfach mit der »freihändigen<br />
Vergabe« nach nationalem Vergaberecht<br />
verwechselt oder auch als ein »Wettbewerbsverfahren<br />
im weiteren Sinne«<br />
bezeichnet wird. Um eine sachgerechte<br />
Diskussion zu führen, erscheint es hilfreich<br />
sich zu vergegenwärtigen, wie die VO (EG)<br />
Nr. 1370/2007 die verschiedenen Verfahren<br />
definiert:<br />
• Wettbewerbliches Vergabeverfahren<br />
nach Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr.<br />
1370/2007: Das Verfahren steht allen<br />
Bewerbern offen, ist fair organisiert und<br />
genügt den Grundsätzen der Transparenz<br />
und Nichtdiskriminierung. Nach<br />
Abgabe der Angebote darf verhandelt<br />
werden.<br />
• Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 6 i.V.m.<br />
Art 2 lit.h) VO (EG) Nr. 1370/2007: Vergabe<br />
eines Verkehrsvertrags an einen<br />
bestimmten Betreiber ohne Durchführung<br />
eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens;<br />
d. h. in einem Verfahren,<br />
welches nicht allen Bewerbern offen<br />
steht oder unfair, intransparent bzw.<br />
diskriminierend organisiert ist.<br />
Zugelassen wurde die Direktvergabe in<br />
der VO 1370/2007 für den <strong>Eisenbahn</strong>verkehr,<br />
um nicht »durch die Hintertür« einen<br />
Marktzugang in den Mitgliedstaaten der<br />
EU zu erzwingen, in denen die Schieneninfra<br />
struktur (noch) nicht für Dritte geöffnet<br />
ist. Dies ist insofern berechtigt, als in<br />
diesen Ländern öffentliche Dienstleistungsaufträge<br />
nur mit der Staatsbahn geschlossen<br />
werden können. Hier gibt es keinen<br />
»geborenen Betreiber«, der als einziger für<br />
einen Verkehrsvertrag in Frage käme.<br />
Anders ist es in den Mitgliedstaaten, die<br />
wie Deutschland ihr nationales <strong>Eisenbahn</strong>netz<br />
für Dritte geöffnet haben. Ungeachtet<br />
dessen, ob eine Direktvergabe nach der<br />
VO (EG) Nr. 1370/2007 im Einklang mit<br />
dem EG-Primärrecht ist, stellt sich in diesen<br />
Mitgliedstaaten die Frage, inwieweit ein<br />
qua definitionem »exklusives Verfahren«<br />
mit dem nationalen Rechtsrahmen vereinbar<br />
sein könnte.<br />
Schienenpersonennahverkehr 55