Wettbewerber- Report Eisenbahn 2010/2011 - Mofair

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3.6 Wettbewerbssplitter 3.6.1 Fahrzeugzulassung: Brennpunkt Eisenbahn-Bundesamt Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) ist eine Behörde des Bundes, die bei reibungslosen Abläufen im Schienenverkehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit arbeitet. Das Amt beaufsichtigt die Eisenbahnen des Bundes sowie ausländische Eisenbahnunternehmen und stellt Genehmigungen aus. Es überwacht die Sicherheit des Eisenbahnbetriebs, die Einhaltung der Fahrgastrechte und begleitet den gesamten Lebenszyklus von Fahrzeugen, der von der Herstellung über die Zulassung zur Inbetriebnahme bis zum Lebensende reicht, wenn das Fahrzeug außer Dienst gestellt wird. Damit ein solch trockenes Aufgabenspektrum Aufsehen erregt, bedarf es besonderer Umstände. Punktuell treten diese ein, wenn sich einer der seltenen Unfälle im Schienenverkehr ereignet. Dann heißt es, die Experten des EBA hätten unverzüglich die Ermittlungen zur Unfallursache aufgenommen. Zwei außergewöhnliche Ereignisse haben das EBA seit mehr als zwei Jahren einem breiteren Publikum bekannt gemacht: der Bruch einer ICE-Achse in Köln im Juli 2008 sowie das Dauer-Desaster der S‐Bahn Berlin, die seit dem Radbruch im Mai 2009 ihren Betrieb – auch infolge weiterer Technikprobleme – bis heute erheblich einschränken muss. In beiden Fällen verlangte das EBA von den betroffenen EVU, kurzfristig Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit zu ergreifen. Auf regionaler Ebene schlägt in letzter Zeit ein weiteres Problem auf, das aufgrund seiner Häufung inzwischen die gesamte Branche des Schienenpersonenverkehrs umtreibt: das Zulassungsprocedere für Neufahrzeuge. Dies sei in den letzten Jahren deutlich langwieriger und materiell zäher geworden, klagen Hersteller und EVU unisono. Die Auswirkungen bleiben den Fahrgästen nicht verborgen, indem neue Betreiber (oder auch der alte, sofern er neue Fahrzeuge einzusetzen plante) bei der Betriebsaufnahme gar nicht oder nur auf einen Teil der vorgesehenen Flotte zurückgreifen können. In jüngerer Zeit besonders betroffen war der »E-Talent 2« von Bombardier. Von ihm sollten 76 Einheiten seit Dezember 2010 (ein Teil davon theoretisch schon seit Dezember 2009) für DB Regio in verschiedenen Netzen im Fahrgastbetrieb stehen. Tatsächlich harren sie auf Abstellgleisen u. a. in Wustermark und in Hennigsdorf auf dem Bombardier-Werksgelände ihres Einsatzes oder absolvieren gelegentliche Test- oder Schulungsfahrten. Von Zulassungsschwierigkeiten ebenfalls betroffen waren der »Flirt« von Stadler und der »Coradia Lint/Continental« von Alstom – diese Fahrzeuge sind allerdings inzwischen, wenn auch nach teils erheblichen Anlaufschwierigkeiten, zugelassen und im Planeinsatz (vgl.Abbildung 30). Wie die Auflistung der Beispiele zeigt, hat sich der anfängliche Einzelfall zu einem systematischen Problem entwickelt. Unter den Schwierigkeiten holpriger Zulassungsverfahren leiden grundsätzlich alle Betreiber, denn: • Am Tag der Betriebsaufnahme sowie in den Folgewochen ist die Erwartungshaltung von Politik und Fahrgästen auf dem Höhepunkt. Muss der Betreiber mit einem Interimskonzept oder gar verminderten Kapazitäten beginnen, ist sein Image teilweise beschädigt. Kleinere Anfangsprobleme und Kinderkrankheiten werden nachgesehen, aber schon nach wenigen Wochen bröckelt erfahrungsgemäß das Verständnis der Kunden, auch wenn die Ursache fremdverschuldet ist. • Muss das EVU anstelle einer homogen bestellten Flotte über längere Zeit mit Bauartunterschieden klarkommen, steigen die Betriebskosten z. B. wegen zusätzlicher Mietkosten für Ersatzfahrzeuge, höherer Wartungskosten (die nicht immer der Herstellergarantie unterfallen), und die betriebliche Flexibilität der Flotte wird reduziert. Hinzukommen können Mehrkosten bei Personal z. B. für zusätzliche Schulungen auf interimsweise einzusetzenden abweichenden Fahrzeugtypen oder weil Ersatzfahrzeuge ursprünglich nicht vorgesehenes Zugbegleitpersonal erfordern. Im ungünstigsten Fall muss Schienenersatzverkehr bestellt werden, der Aufgabenträger verhängt Pönalen. Die Kalkulation geht nicht auf, weil ungeplante 80 Wettbewerber-Report Eisenbahn 2010/2011
Wenn der Start verhagelt wird – Beispiele für Zulassungsprobleme Bemerkung Ersatz bis Hersteller, Typ Betr.- aufn. Betreiber, Produkt, Netz Zahl Fzg. 12/2008 12/2009 Ersatzverkehr mit Bestandsfahrzeugen mangels Zulassung. Auch danach technische Probleme beim Kuppeln und dadurch betriebliche Schwierigkeiten beim Flügeln. 37 Alstom Coradia Continental DB AG: »Fugger-Express« München — Augsburg — Ulm/Aalen/Tr. DB AG: Leipzig — Cottbus 6 Bombardier E-Talent 2 12/2009 heute Ersatzverkehr mit spurtstärkeren Lokzügen BR 182 13 Bombardier E-Talent 2 12/2009 heute Ersatzverkehr mit Doppelstockwagen der Deutschen Reichsbahn (DR), bespannt mit Loks BR 143 der DB AG und MEG DB AG: »Mosel-RB« Koblenz — Trier — Perl DB-AG: »Rhein-Sieg-Express« 15 Bombardier E-Talent 2 12/2010 heute Ersatzverkehr mit Doppelstockzügen der DB AG 2/2010 Ersatzverkehr mit Altfahrzeugen der DB AG 12/2009 bzw. 12/2010 27 Alstom Coradia Continental DB AG: »E-Netz Würzburg« Würzburg — Nürnberg, Würzburg — Lohr, Gemünden — Schlüchtern, Würzburg — Bamberg DB AG: S‐Bahn Nürnberg 41 Bombardier E-Talent 2 12/2010 heute Ersatzverkehr mit x-Wagen-Zügen, bespannt mit Loks an jedem Zugende, um die auf spurtschnellere Triebwagen ausgelegten Fahrpläne einhalten zu können. 12/2009 12/2010 Bei Betriebsaufnahme hatten nur die Vierteiler eine Zulassung, Ersatzverkehr mit Fahrzeugen der DB AG. Zulassung der Fünfteiler in Deutschland 2/2010, Zulassung der Fünfteiler in den Niederlanden 12/2010. Bis zur Zulassung in den Niederlanden musste der RE 13 in Mönchengladbach gebrochen werden. Eurobahn: »Maas-Rhein-Lippe-Netz« 18 Stadler Flirt (14x Fünfteiler, 4x Vierteiler) 12/2009 2/2010 Ersatzverkehr mit Fahrzeugen verschiedener Privatbahnen, auf einem Streckenabschnitt Schienenersatzverkehr (SEV). Zulassung 2/2010 mit Beschränkungen auf Einzeltraktion im Streilstreckenbetrieb. 5 Stadler Flirt (Dreiteiler) BLB (Arriva-Beteiligung, nun FS Trenitalia): Berchtesgaden — Freilassing 3 Stadler RegioShuttle 12/2009 4/2011 Ersatzverkehr mit lokbespannten Wendezügen der DB Regio, seit 15.4.2011 SEV und Bahnsteigsanierung. Zulassung der Fahrzeuge am 30.4.2011, Betriebsaufnahme ist baldmöglichst nach Klärung letzter Formalien vorgesehen. Rhenus-Veniro: Boppard — Emmelshausen 12/2009 6/2010 Ersatzverkehr mit Doppelstock- bzw. n-Wagen-Wendezügen, bespannt mit BR 111. 12 Alstom Coradia Continental DB AG: »Donau-Isar-Express« München — Passau 12/2010 Alstom gab am 1.12.2010 bekannt, dass die Fahrzeuge zum Fahrplanwechsel eingesetzt werden können, da aber Ersatzverkehre schon vorbereitet werden mußten, ist mit erheblichen Zusatzkosten für den Betreiber zu rechnen. 36 Alstom Coradia Continental Veolia Verkehr/NordWestBahn: S‐Bahn Bremen 12/2010 Alstom gab am 1.12.2010 bekannt, dass die Fahrzeuge zum Fahrplanwechsel eingesetzt werden können, da aber Ersatzverkehre schon vorbereitet werden mußten, ist mit erheblichen Zusatzkosten für den Betreiber zu rechnen. BeNEX/agilis: »Netz Regensburg« 26 Alstom Coradia Continental Abbildung 30: Beispiele für Zulassungsprobleme Quelle: eigene Schienenpersonennahverkehr 81
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