E-Paper | Falstaff Magazin Deutschland 04/2019
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KÜCHENZETTEL<br />
Gourmet-Autor<br />
SEVERIN CORTI<br />
HOCHGEZWIEBELTE<br />
KREATION<br />
Höchste Zeit für eine Frühlingsorgie nach Art der Katalanen: Die Region mag längst<br />
für hochgezwirbelte Sterneküche berühmt sein, ganz traditionell und rustikal<br />
schmeckt es dort aber mindestens so gut!<br />
Die Gegend um Barcelona hat<br />
sich in den vergangenen Jahrzehnten<br />
als gelobtes Land der<br />
feinen Küche etabliert – im<br />
Herzen aber verstehen sich die<br />
Katalanen, allen Gourmettempeln zum<br />
Trotz, als Volk von ganz normal verrückten<br />
Genießern. Handfeste Köstlichkeiten sind<br />
ihnen im Zweifel willkommener als hochgezwirbelte<br />
Kreationen, die nicht immer<br />
das halten, was die Sterne im Guide Michelin<br />
versprechen.<br />
Ein gutes Beispiel dafür sind die Calçots,<br />
speziell lang und dick gewachsene Frühlingszwiebeln,<br />
die in manchen Gegenden<br />
Kataloniens nur im zarten Frühling, dann<br />
aber in ganz und gar unvernünftig großen<br />
Mengen verschlungen werden. Der Anblick<br />
einer Runde erwachsener Katalanen, die,<br />
mit speziellen Trenzbatterln versehen, um<br />
ein glosendes Feuer stehen und sich mit<br />
weit nach hinten geneigtem Kopf eine<br />
gegrillte Frühlingszwiebel nach der anderen<br />
einschieben, vermittelt ein Maß an Fröhlichkeit<br />
und frühlingstrunkener Lebensfreude,<br />
die man sich ohne Weiteres auch in<br />
unseren Breiten angedeihen lassen kann.<br />
Was in Mittelmeernähe schon viel früher<br />
funktioniert, dürfen wir uns halt erst jetzt<br />
erlauben: das Mittagessen ins Freie zu verlegen.<br />
Dafür braucht es zuerst einmal ein<br />
ordentliches Feuer, idealerweise aus Weinrebenabschnitten,<br />
wie sie die Winzer nach<br />
dem Rebschnitt ohnehin in großer Menge<br />
vorrätig haben. Die sorgen beim Grillen<br />
für ein ganz besonders gutes Aroma – übrigens<br />
auch bei Steaks und anderen handfesten<br />
Genüssen. Darauf landen büschelweise<br />
Frühlingszwiebeln, auf dass es zische und<br />
gelbgrünlicher, vom empörten Duft der verbrennenden<br />
Zwiebelhäute erfüllter Wohlgeruch<br />
aufsteige.<br />
Wenn alles gut verkohlt ist, werden die<br />
Zwiebeln auf einen Haufen geschlichtet.<br />
Jeder schnappt sich eine, zieht ihr mit<br />
Eleganz die schwarze Haut vom Leib, bis<br />
das elfenbeinern schimmernde, weich<br />
geschmorte und von unendlich süßem<br />
Rauchgeschmack erfüllte Innere freigelegt<br />
ist. Das zieht man durch eine typisch katalanische<br />
Salsa aus pürierten gerösteten<br />
Mandeln, gegrillten Paradeisern, etwas in<br />
Essig eingeweichtem Weißbrot, Knoblauch<br />
und getrocknetem, zart angeräuchertem<br />
Paprika (in unseren Breiten gern auch das<br />
im Lebensmittelhandel erhältliche geräucherte<br />
Paprikapulver): Nennt sich Salsa<br />
Salvitxada und schmeckt genauso gut, wie<br />
es klingt.<br />
Dass man sich bei der Zwiebelzufuhr<br />
hoffnungslos anpatzt, erhöht den ebenso<br />
infantilen wie orgiastischen Charakter der<br />
Zeremonie jedenfalls erheblich. Der Katalane<br />
von Welt lässt sich dazu in langem,<br />
dünnen Strahl Weißwein direkt aus dem<br />
Porrón, einer Art Gemeinschaftskaraffe<br />
mit dünnem Ausguss, einschießen. Auf<br />
den Frühling!<br />
FRÜHLINGSZWIEBELN<br />
MIT SALVITXADA AUS<br />
MANDELN UND PAPRIKA<br />
(für 4 Personen)<br />
ZUTATEN<br />
8 Bund möglichst große Frühlingszwiebeln<br />
100 g geröstete Mandeln<br />
100 ml Olivenöl<br />
3 Tomaten<br />
4 Knoblauchzehen<br />
2 TL geräuchertes Paprikapulver Pimentón<br />
de la Vera<br />
1 Scheibe altbackenes Weißbrot, in<br />
Weißweinessig aufgeweicht<br />
Salz<br />
ein paar Stängel Petersilie<br />
ZUBEREITUNG<br />
Im Original werden die Zwiebelchen, wie nebenan<br />
beschrieben, auf offenem Feuer gegrillt. Man kann<br />
sie aber auch unter dem Backofengrill verkohlen<br />
lassen. Dafür den Grill maximal vorheizen. Zuerst die<br />
Tomaten und den ungeschälten Knoblauch für etwa<br />
20 Minuten grillen, bis die Haut geplatzt und angekokelt<br />
ist. Abkühlen lassen, schälen. Die Mandeln im<br />
Mixer grob zerkleinern. Paprikapulver, Knoblauch,<br />
Tomaten, in Essig eingeweichtes Brot, grob gehackte<br />
Petersilie und Olivenöl zugeben und alles mittelfein<br />
mixen. Salzen. Die Frühlingszwiebeln unter den Grill<br />
schlichten und rösten lassen, bis die äußere Hautschicht<br />
komplett verkohlt ist. Dabei immer wieder<br />
wenden. Nach etwa 30 Minuten herausholen, aufschlichten<br />
und die nächste Ladung Zwiebeln auf dieselbe<br />
Art verkohlen lassen. Wer will, kann die verbrannte<br />
Haut vor dem Servieren bereits abziehen,<br />
echte Aficionados wollen das aber selbst erledigen –<br />
es schmeckt auch irgendwie besser. Durch die Salsa<br />
ziehen und kopfüber genießen.<br />
Fotos: Stine Christiansen, Ian Ehm<br />
120 falstaff jun <strong>2019</strong>