Untitled - VDSt zu Bremen
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1 Einleitung: Das Deutsche Reich um 1880<br />
Die Geschichte unseres Verbandes kann nur dann richtig verstanden werden, wenn sie nicht isoliert für sich<br />
betrachtet wird, sondern in den größeren Rahmen der Geschichte unseres deutschen Volkes hineingestellt<br />
wird, auf die hier aus Platzmangel nur manchmal mit einigen wenigen Hinweisen eingegangen werden<br />
kann. Vergegenwärtigen wir uns die politische und geistige Situation Deutschlands um 1880 ! In weiten<br />
Kreisen des Bürgertums, das die nationalstaatliche Bewegung des 19. Jahrhunderts getragen hatte, war<br />
nach der Reichsgründung des Jahres 1871 das hohe Bewußtsein der Erfüllung, <strong>zu</strong>gleich aber auch eine<br />
gewisse innere Leere entstanden. Die politische Theorie begann <strong>zu</strong> erlahmen, nachdem die Spannung<br />
zwischen Idee und Realität gewichen war. Im geistigen Leben übte der von den Naturwissenschaften mit<br />
ihrer damals stark positivistischen Einstellung herkommende philosophische Materialismus einen großen<br />
Einfluß auf die gebildeten Schichten aus, während er auf dem Weg über die marxistische Gesellschaftslehre<br />
auch in die breiten Massen eindrang. Nach der Scheinblüte der Gründerjahre traf die in der Mitte der<br />
70er Jahre einsetzende Weltwirtschaftskrise die deutsche Wirtschaft besonders hart; die soziale Frage<br />
wurde immer mehr ein brennendes Problem der Zeit. In der Innenpolitik vollzog Bismarck mit dem<br />
Abbau des Kulturkampfes gegen die katholische Kirche die Trennung von den Liberalen, ohne jedoch<br />
in den nächsten Jahren eine feste Mehrheit im Reichstag <strong>zu</strong> finden. Das junge Reich erlebte eine Krise.<br />
Weite Kreise der Bevölkerung des Deutschen Reiches verharrten in dem überlieferten partikularistischkleinstaatlichen<br />
Denken, von einem Reichs- oder Nationalgefühl kann eigentlich nur bei den Anhängern<br />
der Freikonservativen (Reichs-) Partei und den Nationalliberalen die Rede sein.<br />
2 Die Vereine Deutscher Studenten bis <strong>zu</strong>m Ende des Ersten Weltkrieges 1918<br />
2.1 Die ersten Vereine Deutscher Studenten<br />
Ein großer Teil der Studentenschaft stand dem politischen Geschehen völlig gleichgültig gegenüber. Die<br />
Beschäftigung mit der Politik war auch bei den studentischen Korporationen und Vereinigungen verpönt.<br />
– Dem Unbehagen über diese Zustände verdankt die Kyffhäuserbewegung der Vereine Deutscher Studenten<br />
ihren Ursprung. Die jungen Studenten, die sich <strong>zu</strong> Beginn des Jahres 1881 in Berlin, Halle, Leipzig<br />
und Breslau und dann im Sommer in Greifswald und Kiel trotz mancher Widerstände der akademischen<br />
Behörden <strong>zu</strong> den ersten Vereinen Deutscher Studenten (V<strong>VDSt</strong>) <strong>zu</strong>sammenschlossen, wollten diese politische<br />
Lethargie überwinden, der äußeren Einigung Deutschlands durch Bismarcks kluge Realpolitik die<br />
innere Einigung folgen lassen.<br />
Gewiß hat die sogenannte Antisemitenpetition des Jahres 1880, die sich gegen einen <strong>zu</strong> starken Einfluß<br />
des Judentums im politischen und kulturellen Leben wandte, und ihre Verbreitung unter den Studenten<br />
einen ersten Anstoß gegeben. Sie war aber nur äußerer Anlaß. Zudem beschäftigte man sich, wie die<br />
Reden und Aufsätze jener Jahre erkennen lassen, in sachlicher Form mit der Stellung des Judentums<br />
im deutschen Staat. In den Juden sah man die wichtigsten Vertreter des <strong>zu</strong> bekämpfenden bindungslosen<br />
und materialistischen Liberalismus, Anationalismus und Kosmopolitismus; gegen diese Strömungen<br />
wandte sich ein religiöser, wirtschaftlicher und sozialer Antisemitismus. Da dieser Ausdruck durch den<br />
Nationalsozialismus völlig umgedeutet wurde, sollte man heute vielleicht besser die Begriffe ” Antimaterialismus“<br />
oder ” Antinihilismus“ für die betreffende Geisteshaltung der damaligen <strong>VDSt</strong>er verwenden,<br />
die sich keinesfalls gegen Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Abkunft wandte, sondern gegen<br />
die materialistische oder nihilistische Weltanschauung, die damals bei vielen Menschen, in Zeitungen,<br />
Zeitschriften und literarischen oder politischen Zirkeln, Vereinigungen und Parteien herrschte. Der Antisemitismus<br />
der <strong>VDSt</strong>er kämpfte unter dem Einfluß von Lehrern wie Heinrich v. Treitschke gegen die<br />
Auflösungsbestrebungen von Werten, wie sie etwa das Christentum oder Kant gesetzt hatten; sie wollten<br />
die Menschen bei ihrer Seele, ihrer Vernunft packen und so bestimmte Sittengesetze verwirklichen. Von<br />
dem Rassenhaß, der <strong>zu</strong> den schrecklichen Exzessen und den Vernichtungslagern des ” Dritten Reiches“<br />
führte, war man damals wie auch in der folgenden Geschichte der V<strong>VDSt</strong> weit entfernt. Gegenüber der<br />
antisemitischen Bewegung jener Jahre tritt in den jungen Vereinen sofort das Bekenntnis <strong>zu</strong>m Reich und<br />
<strong>zu</strong>r eigenen Nationalität hervor.<br />
In vielen Vereinen, besonders in den in kleinen Universitätsstädten gelegenen, spielte der Antisemitismus<br />
ohnehin keine Rolle und beschränkte sich darauf, daß keine Juden mosaischen Glaubens aufgenommen<br />
wurden. – Wenn die <strong>VDSt</strong>er Antisemiten waren, dann verstanden dies die meisten so wie der bedeutende<br />
Theologe Gerhard Kittel (1888 - 1948, AH Tübingen) so, daß in ihren Augen in einem christlichen<br />
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