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Untitled - VDSt zu Bremen

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theoretischen Forderungen fielen infolge der historischen Entwicklung <strong>zu</strong> Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

bald auf fruchtbaren Boden.<br />

Der Zusammenbruch des ersten deutschen Kaiserreiches und die Ergebnisse des Wiener Kongresses bewirkten<br />

eine immer stärkere Übertragung des Staatsbewußtseins auf die deutschen Teilstaaten. Preußen<br />

wurde in <strong>zu</strong>nehmendem Maße <strong>zu</strong>m Mittelpunkt einer neuen geistigen Bewegung. Der allgemeine politische<br />

Niedergang Deutschlands während der napoleonischen Zeit war nur durch ein neues staatliches,<br />

gesellschaftliches und wissenschaftliches Ethos <strong>zu</strong> überwinden gewesen. Preußen mußte durch geistige<br />

Kräfte ersetzen, was es an physischen verloren hatte (Friedrich Wilhelm III.). Kein Wunder also, daß der<br />

preußische Kultusminister Wilhelm v. Humboldt (1809 - 1810) nach einer staatsfreundlichen Universität<br />

trachtete, die wie der Staat ein Ganzheitsprinzip verfocht. Die Forderung der bürgerlich-liberalen Gesellschaft<br />

nach Ausbildung statt Bildung war demgegenüber die Verkörperung eines ab<strong>zu</strong>lehnenden oder<br />

<strong>zu</strong>mindest doch sekundären partikularen Interesses (eine negative Charakterisierung, die in der auch<br />

heute noch oft <strong>zu</strong> hörenden abschätzigen Beurteilung des Spezialistentums und einer Überschät<strong>zu</strong>ng der<br />

sogenannten Geisteswissenschaften weiterlebte).<br />

Entsprechend dem staatsfreundlichen Ausgangspunkt sahen die ersten Theoretiker der Universität die<br />

akademische Freiheit vorwiegend im freien schöpferischen Lehren und Lernen, während eigener Gerichtsstand<br />

und Selbstverwaltung eine eher untergeordnete Rolle spielten. Die erste Neuschöpfung nach dem<br />

Humboldtschen Modell war die Friedrich-Wilhelms-Universität <strong>zu</strong> Berlin (1809). Duisburg ging 1818 in<br />

Bonn aus, Landshut wurde 1826 nach München verlegt, Straßburg 1872 wiedererrichtet, Münster 1902<br />

wieder <strong>zu</strong>r Universität erhoben. Die Neu-, bzw. Wiedergründungen der Universitäten Frankfurt a. M.<br />

(1914), Hamburg und Köln (1919), Mainz (1946), FU Berlin (1948) und der Universität des Saarlandes<br />

(1949) dürften den Abschluß dieser Entwicklung bedeuten.<br />

Die Professorenschaft setzte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts <strong>zu</strong>sammen mit der Studentenschaft<br />

gegen staatliche Ansprüche und Angriffe (Karlsbader Beschlüsse, Reaktion) häufig <strong>zu</strong>r Wehr und<br />

stand <strong>zu</strong>m großen Teil auf der Seite des ” liberalen Fortschritts“ (1837: Göttinger Sieben, 1848 Frankfurter<br />

Professorenparlament). Allmählich trat dann allerdings eine gewisse Saturierung ein, die eine größere<br />

Bereitschaft <strong>zu</strong>r Loyalität gegenüber staatlichen Forderungen <strong>zu</strong>r Folge hatte.<br />

f. Gegenwart<br />

Die Gegenwart ist wiederum Zeuge einer Umwandlung der Universitäten, und wenn nicht alles täuscht,<br />

werden sie in absehbarer Zeit nicht mehr umhin können, sich verstärkt ” politisch“ <strong>zu</strong> begreifen, das soll<br />

heißen, sich die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Existenz mehr als bisher bewußt <strong>zu</strong> machen. Wenn<br />

in dieser Situation immer wieder der Ruf nach der ” Lehr- und Lernfreiheit“ Humboldtschen Musters laut<br />

wird, so dürfte darin weitgehend ein Mißverständnis oder aber die mangelnde Bereitschaft <strong>zu</strong>r Relativierung<br />

der eigenen Geistesposition liegen. Die Humboldtsche Reform war politisch motiviert, und auch<br />

der Wissenschaftsbetrieb war weitgehend nur ” frei“, soweit er dieser Motivation nicht widersprach. Dies<br />

allein ist allerdings noch nicht verwerflich. Die freie Universität, an der vollständig nach Lust und Laune<br />

geforscht, gelehrt und gelernt werden kann, ist ein Idealbild. Keine Gesellschaft ist so reich gesegnet noch<br />

in ihrer Existenz so unabhängig von dem Stand ihrer Wissenschaft, daß sie darauf verzichten könnte, einer<br />

so kostspieligen Institution wie der Universität bestimmte gesellschaftsbezogene Zwecke voran<strong>zu</strong>setzen.<br />

Es fragt sich nur, wieweit dies zweckmäßig oder gar unbedingt notwendig ist und wann es verderblich<br />

wird. Eine ” freie“ Gesellschaft sollte sich gewiß nicht die Chance einer wissenschaftlich fundierten Reform<br />

von innen heraus verbauen und sich gar weigern, an den Universitäten die Grundlagen ihrer Existenz <strong>zu</strong>r<br />

Diskussion <strong>zu</strong> stellen. Deshalb kann sie es sich nicht leisten, eine ” Politisierung“ <strong>zu</strong> dulden, die nur darauf<br />

abzielt, den bisher von politischer Agitation freigehaltenen Bereich – und damit auch jenen der Kritik –<br />

mit bestimmten Ideologien <strong>zu</strong> füllen, die nun einen Anspruch auf Alleingültigkeit erheben.<br />

Wohin die heutige Entwicklung führt, werden schon die nächsten Jahre zeigen; inwiefern aber die Früchte<br />

dieses Umwandlungsprozesses positiv oder negativ <strong>zu</strong> bewerten sind, wird erst in später Zukunft <strong>zu</strong><br />

entscheiden sein. Doch kann unabhängig von den geistigen Strömungen unserer Zeit schon jetzt gesagt<br />

werden, daß diese Entwicklung immer stärker <strong>zu</strong> einer spezialisierten Ausbildung des Studenten drängt<br />

und jene universelle Bildung, die <strong>zu</strong>r Entfachung und Lenkung geistig-weltanschaulicher Bewegungen nun<br />

einmal nötig ist, mehr und mehr vernachlässigt wird. Das aber muß notwendigerweise da<strong>zu</strong> führen, daß<br />

sich der Akademiker der Bedeutung seines Wissens und Könnens für das Leben der Gesellschaft stärker<br />

bewußt sein wird als bisher und somit auch seiner persönlichen Verantwortung.<br />

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