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„Reichsbürger“, Verschwörungsideologie und<br />
extrem rechte Esoterik<br />
Seit Januar 2003 treffen sich regelmäßig zweiwöchig<br />
„Reichsbürger“, Verschwörungsideolog_innen und extrem<br />
rechte Esoteriker_innen zum „Neuschwabenland“-<br />
Treffen in Berlin. Nachdem die Treffen zunächst im<br />
Restaurant „Spitteleck“ in Berlin-Mitte stattfanden,<br />
stellt seit spätestens Juli 2009 die in Tegel wohnende<br />
Betreiberin Sandra Duspara Freitagsabends den großen<br />
Veranstaltungsaal in ihrem Restaurant „Roseneck“<br />
am Britzer Damm 209 im gleichnamigen Ortsteil von<br />
Berlin-Neukölln für die regelmäßige Zusammenkunft<br />
der „Neuschwabenländer“ zur Verfügung. Im Impressum<br />
auf der Internetseite des Lokals wird zudem der<br />
Name Mate Samardzic als Verantwortlicher genannt.<br />
Mitte März 2013 musste die „Neuschwabenland“-Anhänger_innen<br />
schließlich das Roseneck verlassen und<br />
suchen derzeit nach einem neuen Versammlungsort.<br />
Die erste darauf folgende Zusammenkunft fand provisorisch<br />
in einem indischen Restaurant im Lichtenberger<br />
Ortsteil Karlshorst statt. Die Versammlung von<br />
maximal 20 nahezu ausschließlich männlichen und<br />
überwiegend älteren Teilnehmenden wird offiziell als<br />
„Pressekonferenz“ bezeichnet. Journalist_innen sind<br />
bei der „Pressekonferenz“ in der Regel jedoch nicht<br />
anwesend. Einem Journalisten einer Berliner Boulevardzeitung,<br />
der 2012 über das Treffen berichtet hatte,<br />
wurde bei der folgenden Zusammenkunft „der Galgen“<br />
gewünscht. Begleitend zu den „Pressekonferenzen“<br />
werden als „Infoblatt“ bezeichnete Unterlagen zu den<br />
wechselnden Themen des Treffens an die Anwesenden<br />
verteilt. Zu den regelmäßigenden Gästen zählt u.a.<br />
Mario Romanowski. Sie enthalten Dokumente wie<br />
z.B. das Patent für eine Vorrichtung zum Versprühen<br />
von Insektiziden, das als Beleg für die Existenz so genannter<br />
„Chemtrails“ angeführt wird und Briefwechsel<br />
mit verschiedenen Staatsanwaltschaften, die vergeblich<br />
zur Einleitung von Ermittlungsverfahren wegen<br />
der „Vergiftung des deutschen Volkes“ bewegt werden<br />
sollen, bis hin zu Todesurteilen in Abwesenheit eines<br />
imaginären „Reichsgerichtshofs“ gegen die vermeintlich<br />
verantwortlichen Bundespolitiker_innen. Ideologisch<br />
geeint werden die Teilnehmenden der Versammlung,<br />
durch den namensgebenden Glauben an sich in<br />
einer in Anlehnung an eine deutsche Forschungsexpedition<br />
1938/1939 „Neuschwabenland“ genannten<br />
Region in der Antarktis sowie in Südamerika versteckt<br />
haltende „rassische“ SS-Elitetruppen, die sich dort angeblich<br />
mittels des Bau von Reichsflugscheiben und<br />
andere Geheimwaffen auf ihre Rückkehr an die Macht<br />
vorbereiten und dem Festhalten am „Selbstbestimmungsrecht<br />
des deutschen Volkes in den Grenzen vom<br />
31. August 1939“. Die „Neuschwabenländer“ verstehen<br />
sich zwar als „Bürger des Deutschen Reiches“, weisen<br />
„Neuschwabenland“-Treffen in Berlin<br />
die Bezeichnung als „Nazis“ allerdings zurück und führen das Wort gleichzeitig auf<br />
eine etymologisch höchst eigenwillige Weise auf die Bewohner_innen des „heiligen<br />
Herkunftsortes [Nazareth“ und „von Gott auserwählten Personen“] zurück.<br />
Mitbegründet und bis heute geleitet werden die „Neuschwabenland“-Treffen von<br />
Peter Schmidt und Axel Stoll. Der in Zehlendorf wohnende Peter Schmidt, der<br />
sich selbst als freier Journalist, Autor und TV-Produzent bezeichnet, will schon<br />
verschiedene Werke zu „Tabu-Themen“ wie der Leugnung des Zusammenhangs<br />
des HI-Virus und der Krankheit AIDS und der „Impflüge“ veröffentlicht haben.<br />
Schmidt ist verantwortlich für die Erstellung der Tagesordnung und versendet<br />
auch über einen eigenen E-Mailverteiler die obligatorisch mit einem „GruSS“ beendeten<br />
Einladungen zu den Treffen. Der 1948 geborene Axel Stoll, der stets einen<br />
Doktortitel im Namen führt, moderiert die Treffen. Er studierte Geologie zunächst an<br />
der Universität Greifswald und promovierte laut Eintrag im Katalog der Deutschen<br />
Nationalbibliothek 1984 am „Zentralinstitut für Physik der Erde (ZIPE)“ der Akademie<br />
der Künste der DDR in Potsdam zum Thema „Zur Rhythmizität/Zyklizität und<br />
Korrelation des höheren Saxon der westlichen Altmark.“ Er behauptet zudem von<br />
sich Leutnant der Reserve in der NVA gewesen zu sein. Über seinen eigenen Sinus<br />
Tangentus Verlag versucht er u.a. Literatur über Flugscheibentechnik und „alternative<br />
Energien“ an das geneigte Publikum zu bringen. In sozialen Netzwerken pflegt<br />
Stoll auch Kontakte zur Anti-Islam-Szene z.B. zu Mitgliedern der „German Defence<br />
League (GDL)“ (siehe Seite 22), dem deutschen Ableger der aus dem Umfeld rechter<br />
Fußball-Hooligans hervorgegangenen rassistischen „English Defence League (EDL).“<br />
Der Ablauf der mit einem zackigen „Heil euch“ eröffneten Treffen ist stets derselbe.<br />
Nach einer kurzen Vorstellung der Tagesordnung folgen verschiedene meist langatmige<br />
und um eine hochgestochen-pseudowissenschaftliche Ausdrucksweise bemühte<br />
Vorträge. Zum Abschluss ist eine Diskussion vorgesehen. Zuletzt beschränkten<br />
sich die Referenten auf Peter Schmidt und Axel Stoll. In früheren Jahren traten<br />
aber auch Gastredner, unter ihnen bekannte Holocaust-Leugner und NPD-Mitglieder<br />
aus dem zu dieser Zeit noch aktiven Kreisverband 3 (Tempelhof-Schöneberg/<br />
Steglitz-Zehlendorf) der Partei u.a. der damalige stellvertretende Kreisvorsitzende<br />
Frank Reitemeyer 1 auf. Die Themenpalette der Referate deckt die gesamte Bandbreite<br />
extrem rechter Esoterik und Verschwörungsideologien ab, sie reicht von „alternativer<br />
Medizin“ (z.B. Einreiben des Körpers mit Essig als Impfersatz), alliierten<br />
Kriegen und deutschen Expeditionen zum Pluto bis hin zu Tempelritter-Mythen.<br />
Teilweise werden die Vorträge durch Bilder und kurze Videoclips etwa Ausschnitte<br />
aus dem inzwischen eingestellten, von der ehemaligen Tagesschau-Sprecherin Eva<br />
Herrmann moderierten, Format „Kopp-Nachrichten“ des gleichnamigen rechtspopulistischen,<br />
esoterischen und verschwörungsideologischen Verlages illustriert.<br />
Obgleich nur äußerst selten explizit ausgesprochen, ist in den geäußerten Inhalten<br />
ein aggressiver Antisemitismus stets präsent, so werden die Medien der abgelehnten<br />
BRD beispielsweise als „Elektrojude“ verunglimpft. Neuankömmlinge auf dem Treffen<br />
sollen offensiv rekrutiert werden. So kann es passieren, dass sie vom Landwirtschafts-und<br />
Forstminister der „Exilregierung Deutsches Reich“ Vordrucke für einen<br />
Reichspersonalausweis zum Selbstausfüllen überreicht und zu einer Einführungsveranstaltung<br />
für „Neubürger“ am Fritz-Lang-Platz, in Laufweite des U-Bahnhofs<br />
Hellersdorf, eingeladen werden. Das Verhältnis der verschiedenen „Reichsregierungen“<br />
und vergleichbaren Organisation zueinander ist von Konkurrenz und Rivalität<br />
geprägt. Der Ton ist rau und die Streitigkeiten werden mitunter auch nach dem Tod<br />
der Beteiligten weitergeführt. Nach dem Tod von Bernhard Heldt, Gründer der „Vereinigung<br />
Deutsche Nationalversammlung“, 2007, fiel dieser bei seinen ehemaligen<br />
Mitsreitenden schnell in Ungnade und wurde als „Verräter“ und „Jude“ diffamiert.<br />
Ähnlich erging es dem Reichsbürger Rainer Link aus dem brandenburgischen