fightback05
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vorhandenen Strukturen zu befassen und diese zu<br />
schützen. Dabei müssen die Chancen und Grenzen<br />
einer (auch spektrenübergreifenden) Bündnis- und<br />
Kampagnenpolitik genauso in die Abwägung einbezogen<br />
werden, wie die Möglichkeiten militanter Politik.<br />
Bei jedoch genau solchen Prozessen stehen wir uns hin<br />
und wieder selbst im Wege: Die aktuell teilweise zu beobachtende<br />
Zelebrierung eines verbalradikalen, mitunter<br />
sexistischen Militanz-Habitus auf der einen und<br />
die Fixierung auf die demokratische Zivilgesellschaft<br />
auf der anderen Seite, wirkt nicht wie eine strategisch<br />
motivierte Praxis radikaler Linker, sondern eher wie<br />
eine Geschmacksfrage oder eine „Frage der guten<br />
Erziehung“. Wir sollten langfristig überlegen, wie<br />
wir zum einen oberflächlichen Militanz-Lifestyle und<br />
‚blinden Aktionismus‘ durch strategisch durchdachte<br />
und zielgerichtete (militante) Aktionen und langfristig<br />
gedachtes Agieren ersetzen können. Zum anderen gilt<br />
es, diese mit Antifaschismus mit zivilgesellschaftlicher<br />
Ausrichtung besser in Einklang bringen können. Die<br />
Bandbreite unserer politischen Mittel geschickt zu<br />
choreografieren statt sich identitär abzugrenzen ist<br />
die Herausforderung!<br />
Der 1. Mai 2010 kann hier als gutes Beispiel gelten: Abgefangene<br />
Rechercheinfos konnten durch das etablierte,<br />
weil breite Bündnis „1. Mai Nazifrei“ weit verbreitet<br />
werden, sodass selbst Oma Erna wusste, wann und wo<br />
sich die Neonazis zur gemeinsam Anreise sammeln<br />
wollten. Die Verunsicherung, die bei den Neonazis<br />
ausgelöst wurde lag nicht nur daran, dass ihre „klandestinen“<br />
Sammelpunkte so den Weg in die Print- und<br />
Onlinemedien fanden, sondern dass kleinere Neonazi-<br />
Gruppen auf dem Weg dorthin von Antifaschist_innen<br />
abgefangen wurden. Vor Ort haben Blockaden von<br />
mehreren tausend Menschen, die ohne die Mobilisierungsfähigkeit<br />
des breiten Bündnis „1. Mai Nazifrei“<br />
nicht möglich gewesen wären, im Zusammenspiel mit<br />
„Konfliktherden“ im weiteren Umfeld des Aufmarsches<br />
eine unkontrollierbare und unüberschaubare Situation<br />
geschaffen und die Durchsetzung des Aufmarsches<br />
(politisch) unmöglich gemacht.<br />
Leider müssen wir im Rückblick auf die letzten Jahre<br />
feststellen, dass gerade die Antifa-Strukturen auf Kiez-<br />
und Bezirksebene in Berlin abgebaut haben – sowohl<br />
personell als auch strukturell.<br />
Das heißt zum Glück nicht, dass sich weniger Antifaschist_innen<br />
organisieren oder (Kiez-) Arbeit nicht<br />
mehr gemacht wird – erschwert diese aber und fordert<br />
mühsame Kampagnenpolitik. Diese kann jedoch eine<br />
kontinuierliche Kiezarbeit langfristig nicht ersetzen.<br />
Eine fehlende Weitergabe von Erfahrungen, Kontakten<br />
und Wissen an jüngere Genoss_innen sowie eine<br />
Überidentifikation mit der eigenen „Szene in der Szene“<br />
bzw. der eigenen Gruppe sind unserer Meinung nach<br />
hauptsächlich verantwortlich für die geringere Handlungsfähigkeit<br />
und die Auflösungserscheinungen der<br />
eigentlich so starken Kiez-Antifas in Berlin. Eine nicht<br />
zu unterschätzende Rolle spielt dabei auch, dass bestimmte<br />
Zusammenhänge/Umfelder und Gruppen<br />
immer wieder Gewalt gegen andere Linke ausüben.<br />
Dies verhindert konstruktive inhaltliche Auseinandersetzung<br />
und Lerneffekte. Langfristig gehen so wichtige<br />
Errungenschaften und Ressourcen verloren – inhaltlich, strukturell, räumlich und<br />
personell. Hier müssen wir gegensteuern: Grenzen aufzeigen und wieder gemeinsame<br />
Mindeststandards (nicht nur zur Ablehnung von Gewalt zwischen Linken!)<br />
entwickeln; die Gruppen durch die Integration neuer Leute personell unterstützen,<br />
die jüngere Generation besser integrieren und uns um eine Weitergabe des Wissens<br />
und der Erfahrungen kümmern. Am Wichtigsten erscheint es uns allerdings, die antifaschistischen<br />
Akteure wieder mehr zusammenzubringen und die unproduktiven,<br />
meist identitär motivierten Zerwürfnisse zu überwinden. Des weiteren ist es wichtig<br />
über den bereits erwähnten eigenen Tellerrand zu schauen und Projekte wie auch<br />
Gruppen und Einzelne inmitten der brandenburgischen Provinz nach ihren Bedürfnissen<br />
zu unterstützen, die tagtäglich mit Neonazi-Gewalt (direkt) konfrontiert sind.<br />
Eine Gefahr, die wir (für die Zukunft verstärkt) sehen ist der Umgang mit sozialen<br />
Netzwerken bzw. generell mit dem Internet und technischen Geräten. Immer<br />
mehr User_innen gehen leichtfertig mit ihren Daten um, benutzen reale Namen<br />
in Chats, Foren und Netzwerken und laden von sich Fotos z.B. bei Facebook hoch.<br />
Immer häufiger verzichten Linke auf Anonymisierungen im Netz, verschlüsseln ihre<br />
Rechner, Datenträger und Mails nicht und machen ihre eigenen Kontaktnetze (z.B.<br />
im Chat-Mitschnitt, unnötig umfangreiche Adress- und Telefonbücher etc.) und<br />
Bewegungs- und Interessenprofile (durch das Mitführen von Handys, unbedachtes<br />
surfen und „liken“ im Netz etc.) nachvollziehbar. Auch werden immer wieder Bilder<br />
von Aktionen (nicht unkenntlich gemacht) ins Netz gestellt. Auf der anderen Seite<br />
herrscht auch kein ausreichendes Bewusstsein darüber, wie man sich ausreichend<br />
(!) vor Kameras und z.B. neugierigen Neonazis bei Aktionen schützt (Kleidung ohne<br />
eindeutige Merkmale, verdeckte Gesichter etc).<br />
So unzählig die Beispiele sind, bei denen Leute aufgrund von unzureichendem<br />
Schutz im Netz und auf der Straße Schwierigkeiten mit Repression und Neonazis<br />
bekamen, so unbelehrbar unbedacht sind manche weiterhin in ihrem Handeln. Hier<br />
ist es auch Aufgabe erfahrenerer Antifaschist_innen, einen bewussteren Umgang<br />
mit Social Media, Handy und Home-Rechner weiter zu vermitteln.<br />
Es gilt…<br />
Misst man das Projekt Fight Back an seinem Anspruch als nützliches Werkzeug<br />
antifaschistischer Arbeit, so muss man ihm bis hier einen nicht geringen Erfolg zusprechen.<br />
Wie sein Effekt auf den Neonazismus in der Region und antifaschistische<br />
Antworten in Zukunft aussehen wird, liegt auch in den nächsten 12 Jahren an euch.<br />
Uns ist wichtig, dass die Recherche-Arbeit kein Selbstzweck oder Hobby ist, sondern<br />
ein notwendiger Baustein bei der Verfolgung eines klaren Ziels: Den größtmöglichen<br />
Druck auf die Neonaziszene und auf jeden einzelnen von ihnen auszuüben. Der<br />
Name dieses Projekts ist schon immer wörtlich gemeint.<br />
Für uns ist konsequenter Antifaschismus nicht mehr und nicht weniger als eine<br />
selbstverständliche Voraussetzung linker und linksradikaler Politik, unabhängig<br />
von der eigenen sonstigen politischen Schwerpunktsetzung. In solidarischer Weise.<br />
Und besonders in einer Situation, in der Neonazis – nicht nur in Berlin – wieder<br />
dazu übergehen, „verdeckt“ linke Strukturen und Einzelpersonen anzugreifen, ist<br />
es wichtig, wachsam zu sein, den Schutz vor Attacken auszubauen, sich zu solidarisieren,<br />
aber auch präventiv gegen Neonazis vorzugehen! Egal für wie realistisch<br />
ihr einen Angriff durch Neonazis in eurem Projekt haltet – baut euren Schutz aus!<br />
Oftmals ist es ja auch noch vorhanden, das Wissen und die baulichen Vorkehrungen<br />
aus der Zeit der Besetzungen und Räumungen.<br />
Aber nicht nur in unseren Projekten: Das Konzept der lokal verankerten, kontinuierlichen<br />
und konkreten antifaschistischen Arbeit ist unumgänglich. Nicht zuletzt hat<br />
der jahrelang „unentdeckte“ NSU bewiesen, wie wichtig das konjunkturunabhängige<br />
Hinsehen und Druck aufbauen ist. Haltet in eurer Gegend die Augen auf, meldet<br />
Beobachtungen weiter, organisiert euch auch lokal, fühlt euch verantwortlich für<br />
„eure Gegend“!<br />
„Es besteht kein Widerspruch zwischen Weltrevolution und<br />
‚Handarbeit‘ auf dem Dorf, zwischen konkreter Anti-Nazi-Arbeit<br />
und linksradikaler Politik – im Gegenteil!“