26.04.2013 Aufrufe

fightback05

fightback05

fightback05

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

30<br />

Rechtsterrorismus<br />

und die militante Berliner Neonaziszene<br />

Rechtsterrorismus, der NSU<br />

und die „Reichshauptstadt“<br />

Berlin<br />

Bisher sind vier Kontakte des NSU und ihres unterstützenden<br />

Umfeldes nach Berlin in die Öffentlichkeit<br />

gelangt. Bereits 1998, im Jahr des Abtauchens der drei<br />

Neonazis Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, soll der<br />

Thüringer Neonazi André Kapke in Berlin unterwegs<br />

gewesen sein, um für die Unterstützung der Untergetauchten<br />

zu werben. Zuvor war er mit ihnen in der<br />

„Kameradschaft Jena“ organisiert. Kapke habe dabei<br />

den NPD-Funktionär Frank Schwerdt getroffen, der<br />

als Hintermann von Organisationen wie dem „Thüringer<br />

Heimatschutz“ (THS) und dem „Märkischen Heimatschutz“<br />

gilt und aktuell NPD-Bundesvorstand ist.<br />

Desweiteren traf er eine Frau aus der Neonazi-Szene<br />

und bat sie um Kontakte zu möglichen Verstecken im<br />

Ausland. 1 Die angesprochene Frau, vermutlich die Neonazi-Aktivistin<br />

Rita Bönisch aus Adlershof, betrieb<br />

zu dieser Zeit einen Wohnmobil-Verleih. Ihre Adresse<br />

war damals Knotenpunkt der bundesweiten Neonaziszene.<br />

2 Bei den Morden und Banküberfällen der NSU<br />

wurden teilweise gemietete Wohnmobile verwendet.<br />

Im November 1998, als tausende Antifas gegen die<br />

Nazi-Kneipe „Café Germania“ in Lichtenberg demonstrierten,<br />

sammelten sich nach Eigenangaben<br />

200 Neonazis in der Kneipe. Unter ihnen war auch der<br />

V-Mann und Chef des THS Tino Brandt. Im THS waren<br />

die NSU-Mörder aktiv, auch nach ihrem Untertauchen<br />

1998 hatte Brandt noch jahrelang Kontakt zu den Dreien.<br />

Die Kneipe war damals einer der ersten Versuche<br />

der bundesdeutschen Neonaziszene, sich eine Infrastruktur<br />

für Veranstaltungen, Treffen und Konzerte zu<br />

schaffen und spielte so eine entscheidende Rolle in<br />

der überregionalen Vernetzung. Sie wurde kurz nach<br />

der antifaschistischen Demonstration geschlossen.<br />

Andreas Voigt (siehe Seite 68), Betreiber des „Café<br />

Germania“ und selbsternannter Kreuzritter, veröffentlichte<br />

2006 den Roman „Der letzte Patriot“, dessen Inhalt<br />

starke Parallelen zum Vorgehen des NSU aufweist.<br />

Im Mai 2000, nach Ausstrahlung der Serie „Kripo Live“, in der nach Mundlos, Böhnhardt<br />

und Zschäpe gesucht worden war, meldete sich ein Berliner Polizist und gab<br />

an, die Neonazis in Berlin gesehen zu haben. Die Ermittlungen führten jedoch<br />

zu keinem Erfolg. Der NSU-Fluchthelfer Max Florian Burghardt aus Zwickau –<br />

inzwischen wohnhaft in Dresden – ist eine weitere Spur nach Berlin. In seiner<br />

Wohnung kamen Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos ab Februar 1998, direkt nach<br />

ihrem Verschwinden, unter. Sie lebten ein halbes Jahr in der Wohnung des Neonazis,<br />

der von lokalen Antifa-Strukturen dem „Blood & Honour“-Netzwerk zugerechnet<br />

wird. Im Jahr 1999 lernte Burghardt bei den Bauarbeiten an der Frauenkirche in<br />

Dresden den Berliner Steinmetz Ilja Gräser kennen. Gräser ist als Neonazi aus dem<br />

Bezirk Pankow bekannt und dort im lokalen Kreisverband der NPD organisiert. Zeitweise<br />

war er deren Vize-Vorsitzender, bevor er vor wenigen Jahren die Partei verließ<br />

und sich seitdem vor allem in völkisch-rechten Kreisen bewegt.<br />

In diesen zeitlichen Zusammenhang fallen auch zwei Anschläge auf den jüdischen<br />

Friedhof in Charlottenburg, bei denen die Polizei nun einen Zusammenhang mit<br />

dem NSU prüft. Auf das Grab des ehemaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden,<br />

Heinz Galinski, war im Dezember 1998 ein Rohrbomben-Anschlag verübt worden.<br />

Sebastian Dahl und Paul Barrington standen im Jahr 2001 im Verdacht, mittels<br />

einer Rohrbombe einen Anschlag auf einen ausländischen Imbiss verüben zu<br />

wollen. Ein Jahr später gerieten Jan Puhlmann, Marcel Kindel und Sebastian<br />

Lemcke in den Kreis der Verdächtigen für einen verübten Anschlag auf einen<br />

jüdischen Friedhof in Berlin. Im März 2002 detonierte eine weitere Rohrbombe im<br />

Eingangsbereich des Friedhofs. Die Vermutung liegt nahe, dass durch Kontakte des<br />

persönlichen Umfeldes des NSU zu Berliner Neonazi-Kadern, auch weitere Berliner<br />

Gesinnungsfreund_innen über Informationen zu der Terrorgruppe verfügten.<br />

Wenn Berliner Neonazis morden<br />

In den letzten zwanzig Jahren ermordeten Berliner Neonazis mindestens fünfzehn<br />

Menschen. Darunter befinden sich bekannte Fälle, wie der Mord an dem Hausbesetzer<br />

Silvio Meier (1992), dem Sozialhilfeempfänger Dieter Eich (2000) oder der<br />

Fall des Neonazis Kay Diesner. Die meisten Morde Berliner Neonazis sind jedoch<br />

weitgehend unbekannt. Die Namen der Opfer sind Klaus-Dieter R. (1990), Nguyen<br />

Van Tu (1992 von dem Neonazi Mike Lillge erstochen), Günter Schwannecke (1992<br />

von den Neonazis Norman Zühlke und Hendrik Jähn erschlagen), Beate Fischer<br />

(1994), Jan W. (1994), Chris Danneil (Neonazi, im Streit getötet, 1997), Olaf Schmidke<br />

(Neonazi, im Streit getötet, 1997), Stefan Grage (Polizist, vom Berliner Neonazi Kay<br />

Diesner in Roseburg erschossen, 1997), Kurt Schneider (1999 erschlagen von den<br />

Hammerskin-Anhängern Michael Voigt, Manuel Sandmann, Björn Oberjartel<br />

und Carsten Ufer), Dieter Eich (2000), Viktor Filimonov (von dem Berliner Neonazi<br />

Leonard Schmidt in Heidenheim ermordet, 2003), Aleksander S. (Heidenheim,<br />

2003), Waldemar I. (Heidenheim, 2003), Unbekannt (von dem Berliner Neonazi Andreas<br />

Schönbacher in Schilda erschlagen, 2007).<br />

▸Abb.1 Kay Diesner ▸Abb.2 Arnulf Priem ▸Abb.3 Andreas Voigt ▸Abb.4 Henryk Wurzel ▸Abb.5 Paul Stuart Barrington

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!