fightback05
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Zwölf Jahre: Was hat sich ver-<br />
ändert? Was hat das Projekt<br />
dazu beigetragen?<br />
Seit der ersten Ausgabe hat sich einiges geändert. Das<br />
Internet hat massiv an Bedeutung gewonnen, Informationen<br />
lassen sich darüber deutlich schneller und<br />
einfacher beschaffen und verbreiten. Weiterhin haben<br />
wir uns entschieden, neben einer Onlineversion auch<br />
eine Print-Broschüre zu erstellen. Schließlich erreicht<br />
eine solche auch Ecken wie WG-Küchentische und<br />
-Klos, Projekträume und -häuser, linke Kneipen sowie<br />
die Schreibtische von Journalist_innen und Redaktionen.<br />
Gerade bei der Veröffentlichung von personenbezogenen<br />
Recherche-Ergebnissen müssen hohe<br />
Standards an die Korrektheit der Informationen und<br />
Einschätzungen angelegt werden. Ein kontinuierliches<br />
und redaktionell aufgearbeitetes Projekt wie die<br />
Fight Back kann für diese Standards auch jenseits von<br />
persönlichen Bekanntschaften und „Szenewissen“ als<br />
seriöse Quelle bürgen.<br />
Wir sehen die Aufgabe eines Projekt wie der Fight Back<br />
darin, den ersten Teil erfolgreicher antifaschistischer<br />
Arbeit zu machen, sowie die Hintergrundinformationen<br />
zugänglich zu machen, konkrete Ansätze für direkte<br />
Aktionen und schnelle Interventionen zu geben.<br />
Darüber hinaus fundiertes Hintergrundwissen für Öffentlichkeitsarbeit<br />
und Argumentationshilfen, z.B. für<br />
Kiezinitiativen, Nachbar_innen, Projekte etc. zu liefern.<br />
Jedoch ist uns wichtig zu betonen, dass das mühsame<br />
Beschaffen, Zusammentragen und Aufbereiten<br />
von Informationen nicht – wie es vielleicht bei einem<br />
solchen Projekt erscheinen mag – einzig das „Zauberwerk“<br />
von exklusiven Expert_innen ist, sondern sich<br />
aus eben jener Bewegung speist und von ihr getragen<br />
wird. Nicht nur direkt nach Veröffentlichung einer Ausgabe,<br />
sondern auch die Jahre danach, ebbt das Feedback,<br />
die Informationsergänzungen, die Berichte über<br />
die erfolgreiche Arbeit damit, nicht ab. Kontinuierlich<br />
erreichen uns Rückfragen, Korrekturen, Aktualisierungen,<br />
Flüche und Lob aus verschiedenen Teilen der<br />
Gesellschaft.<br />
Die Fight Back hat sich in den letzten 12 Jahren einen<br />
soliden Ruf erarbeitet. Sie ist mittlerweile ein alltägliches<br />
Instrument der praktischen und publizistischen<br />
Antifaarbeit, ein Nachschlagewerk für Zahlen, Fakten,<br />
Namen und Gesichter – egal ob es um Täteridentifizierung<br />
nach Neonazi-Angriffen ging, jemand plötzlich<br />
den „netten Verkäufer“ aus dem Laden um die Ecke<br />
als Kameradschaftsaktivisten erkannte oder damit es<br />
nicht den Falschen „erwischt“, wenn man z.B. das<br />
Gesicht, das einem in der Tram gegenüber sitzt, „eindeutig“<br />
als Neonazi erkennt. Nicht zuletzt mit Hilfe der<br />
Fight Back konnten fast alle Neonazis, die am 14. Mai<br />
2011 in Kreuzberg Linke angegriffen haben, identifiziert<br />
werden (siehe Seite 12). Es konnte mit der Fight Back<br />
aber auch eine Handreichung für diejenigen publiziert<br />
werden, die nicht direkt in dem Antifaalltag involviert<br />
sind. So ist es auch diesen möglich, Neonazis zu erkennen<br />
und zu identifizieren. Es kam immer wieder zur<br />
Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Neonazis im öffentlichen Raum, sei es<br />
durch direktes, spontanes Eingreifen gegen wiedererkannte Neonazis auf der Straße,<br />
durch Hausverbote in Räumen, die nicht hauptsächlich von Antifas frequentiert<br />
werden, oder ähnlichem. Die so entstandene Sensibilisierung geht mitunter über<br />
die Leser_innenschaft hinaus, schließlich wird über das Gelesene oder danach Erlebte<br />
auch am Küchentisch, in der Schule oder im Betrieb erzählt. Diese Verbreitung<br />
über den eigenen Tellerrand hinaus ist in unseren Augen genauso wichtig wie die<br />
Aufklärung und Hilfestellung für die „eigene“ Szene.<br />
Trotzdem müssen wir feststellen, dass es eine Diskrepanz gab und gibt zwischen<br />
der Fülle an veröffentlichten Rechercheergebnissen und der Quantität an Aktionen<br />
gegen Neonazis und deren Strukturen. Wir erhoffen uns für die Zukunft, dass es<br />
mehr unmittelbaren Druck auf die Neonazis geben wird. Sei es in Form von Outings<br />
(Kundgebungen, Plakate und Flugblätter in ihrem privaten und beruflichen Umfeld,<br />
von Suchmaschinen erfasste Informationen im Internet etc.) oder direkte Aktionen<br />
gegen sie und ihre Infrastruktur.<br />
Was bewegt antifaschistische Strukturen heute?<br />
Was sollte sie bewegen?<br />
Wer in den 2000er Jahren Antifa-Publikationen oder Punklieder aus den 1990ern las<br />
bzw. hörte, stolperte nicht selten über die verwendeten Plattitüden. Zu vereinfacht<br />
schien dem 2000er-Antifa die Rede von „Naziterror“, der „verschwiegen, verharmlost<br />
oder beklatscht“ wird und von einem Staat der nichts weiß oder mitmacht.<br />
Im November 2011 dann die „Entdeckung“ des NSU und die Erkenntnis: All das ist<br />
viel näher an der Realität, als wir bereit waren, den „90er-Analysen“ abzunehmen<br />
und ernstzunehmen. Wir wurden an unsere eigene Glaubwürdigkeit erinnert – und<br />
haben gleichzeitig verpasst, sie in adäquaten Reaktionen unter Beweis zu stellen.<br />
Nach wie vor sind Parolen wie „Nazis und Staat Hand in Hand“ zu einfach, aber es<br />
muss den Opfern von Rassismus mehr zugehört werden, wir müssen solidarisch<br />
sein, noch genauer hinsehen, rechte Bestrebungen und Akteure genauestens im<br />
Blick behalten und stärkeres Misstrauen staatlichen Strukturen und staatlichem<br />
Agieren gegenüber hegen – denn hier hat er nicht nur strukturell versagt, sondern<br />
ist Mittäter.<br />
Und es gab auch schon einige positive Beispiele: Tatsächliche Solidarität mit von<br />
Rassismus betroffenen, Unterstützung von Flüchtlingsprotesten, Schutz von Flüchtlingsheimen<br />
und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Rassismus, unabhängige<br />
Recherchen im NSU-Umfeld und zu staatlichem Fehlverhalten abseits offizieller<br />
Ermittlungen – all das sind antifaschistische Notwendigkeiten in diesen Jahren.<br />
Auch angesichts der seit ein paar Jahren zunehmenden gezielten Gewalt von Neonazis<br />
gegen linke Projekte muss in antifaschistischen Strukturen sowie in der gesamten<br />
linken Szene wieder vermehrt über organisierten – auch präventiven – Selbstschutz<br />
nachgedacht werden. Unter spezieller Berücksichtigung der Aktionsformen und<br />
Muster der Neonazis: Nächtliche Attacken auf Projekte und Wohnungen durch<br />
mehr oder minder die immer gleichen wenigen Neonazis, z.T. mit Unterstützung<br />
von Außerhalb, rund um für sie symbolträchtige Daten oder als Reaktionen auf<br />
antifaschistische Aktivitäten. Auch potentiell Betroffene, die nicht auf die staatlichen<br />
Repressionsorgane setzen wollen oder können, sollten sich bestimmte Möglichkeiten<br />
der Eigensicherung überlegen. Hierbei geht es zum Beispiel um kleine<br />
Investitionen (Brandmelder, Feuerlöscher und Schließ-Konzepte, Rollläden etc.) die<br />
wenig kosten, im Zweifel aber lebenswichtig sind. Es geht jedoch auch um solidarische,<br />
konkrete Hilfe wie kollektiv organisierter Schutz, praktische Solidarität nach<br />
Attacken (Geld, Arbeitskraft, Sachspenden). Und um präventive Aktivitäten gegen<br />
die bekannten Täter_innen aus der Neonaziszene, die ihren Handlungsspielraum<br />
effektiv einschränken. So etwas lässt sich nicht an „die Antifa“ delegieren, wie es<br />
bei der Recherche-Arbeit noch ein Stück weit gehen mag, die von der Sache her notgedrungen<br />
ein Stück weit Expert_innen-Arbeit ist. Schutz und Solidarität müssen<br />
kollektiv und langfristig vor, während und nach Angriffen organisiert werden, und<br />
das vor allem auch über die eigenen Stadtgrenzen hinaus.<br />
Von aktiven antifaschistischen Zusammenhängen verlangt diese Situation der gewandelten<br />
Aktionsformen und Strukturen der Neonazis, gemeinsam(!) strategische<br />
und taktische Überlegungen anzustellen. Gemeinsam – das heißt sich mit bereits