Christina Kosbü - repOSitorium - Universität Osnabrück
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Religion – überspitzt formuliert – für die einzig richtige halten, dann stellt sich die Frage,<br />
inwieweit ein Lernen von der anderen Religion überhaupt möglich ist, vor allem, wenn<br />
dahinter eigentlich der Gedanke steht, den anderen von der Wahrheit der eigenen Religion zu<br />
überzeugen, wie es Spaemann deutlich sagt.<br />
Für Volker Gerhardt besteht die elementare Funktion des Glaubens darin, dem Individuum<br />
eine Aussicht auf sein eigenes Seelenheil zu eröffnen. Die Religion verspreche einen Zugang<br />
zur einsichtigen, alle Fragen beruhigenden Einheit von Individuum und Welt. 188 Letztlich<br />
zielten die Religionen darauf, den Einzelnen zu überzeugen. Dieser müsse jedoch selbst<br />
entscheiden, ob der Prozess der Überzeugung gelingt oder nicht. Gerhardt zitiert an dieser<br />
Stelle Kant mit der Aussage, der Glaube in den Weltreligionen sei ein subjektives<br />
Fürwahrhalten. Ähnlich wie Spaemann bewertet auch Gerhardt Riten in der Religion als<br />
positiv. Durch Riten werde eine gemeinsame Haltung zum Leben eingeübt, durch die der<br />
Einzelne einen Sinn im Ganzen erkennen könne, wenn er die Botschaft für sich annehme. Sei<br />
dies der Fall, erreiche das Individuum eine Vergewisserung seiner Einzigartigkeit und eine<br />
„unendliche[...] Vertiefung seines individuellen Weltverhältnisses“ 189 . Die Vernunft der<br />
Religion sei auch die Vernunft der Wissenschaft, denn beide setzten darauf, dass die Vernunft<br />
auf ihren Grund in der Vernunft der Welt vertrauen kann. Gerhardt beschreibt Gott als Wesen,<br />
„das unserer menschlichen Vernunft unendlich überlegen ist und sie gleichwohl so in sich<br />
schließt, dass es ihr – nach Art eines menschlichen Wesens – verständig begegnet“ 190 . Daher<br />
könne sich der Mensch in Gott besser verstehen als ohne ihn. Vor diesem Hintergrund<br />
brauche sich die Religion vor der wissenschaftlichen Einsicht nicht zu fürchten, sondern sie<br />
müsse vielmehr unter Berücksichtigung aller neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
versuchen, die Menschen mit ihrer Botschaft zu erreichen. Eine Art Entlastungsfunktion, wie<br />
Spaemann sie in der Religion erkennt, findet sich auch bei Gerhardt, jedoch nicht in Form<br />
einer Entlastung von begangenen Sünden. Nach Gerhardt muss der Glaube, wenn er dem<br />
Menschen genügen können soll, eine „lebenslange, das Dasein tragende Verbindlichkeit“ 191<br />
innehaben.<br />
188 Vgl. Gerhardt, Die Funktion der Religion und die Autonomie der Politik (2009), in:<br />
http://www.tabvlarasa.de/37/Gerhardt.php, 11.6.2012.<br />
189 ebd.<br />
190 Gerhardt, Die Vernunft des Glaubens (2008), S. 150.<br />
191 Gerhardt, Die Individualität des Glaubens (2012), S. 298.<br />
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