Christina Kosbü - repOSitorium - Universität Osnabrück
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könnte, so haben die jetzt lebenden Menschen das Stadium des Aufwachsens im Mutterleib<br />
und das Geborenwerden bereits erfolgreich hinter sich gebracht, sodass das Interesse an<br />
diesem Thema „nur ein moralisches“ 365 sei. Zudem werde die Diskussion oftmals dadurch<br />
behindert, dass die Befürworter der Abtreibung den christlichen Gegnern der Abtreibung<br />
entgegnen, sie könnten nicht für alle sprechen, da es eben auch Menschen mit anderen Über-<br />
zeugungen gebe. Dieses Argument greift auch Volker Gerhardt auf. Zwar habe die<br />
Entscheidung gegen eine Abtreibung Respekt verdient und man könne es der Kirche auch<br />
nicht vorwerfen, wenn sie ein Abtreibungsverbot für ihre Mitglieder verbindlich machte, doch<br />
da es sich um eine „nur durch den Glauben begründete Haltung“ 366 handle, verletze es die<br />
Privatsphäre des Bürgers und überschreite es die Kompetenz des Rechts hier für alle Men-<br />
schen ein Verbot zu verhängen. Er spricht hier gar von einem „Rückfall hinter die<br />
Säkularisierung“ 367 sowie von einem „Rückfall in den Kirchenstaat“ 368 , wenn die Kirchen<br />
versuchten, das, was sie bei ihren Gläubigen nicht schafften, per Gesetz für alle Bürger<br />
verbindlich zu machen. Er bedauert es, dass die Kirchen nicht stattdessen die „Chance [...] der<br />
Stärkung der individuellen Verantwortung“ 369 wahrnähmen. Die Argumentation, die Kirche<br />
könne nur für ihre Gläubigen sprechen, hält Spaemann für „schief“ 370 . Die Rede von der<br />
Anerkennung Anderer greife in dem Moment nicht, in dem es darum gehe, Wesen zu<br />
schützen, die man für schützenswert hält. In diesem Moment sei es nicht von Belang, ob die<br />
Glaubensgrundlage der Gegner einer andere ist, oder ob ihr Gewissen anders beschaffen ist.<br />
Spaemann geht nicht davon aus, Christen seien unberechtigt, „andere zum Respekt vor<br />
menschlichem Leben zu nötigen“ 371 und argumentiert, dass auch ein Tierschützer<br />
beanspruche, dass jeder die Rechte der Tiere achtet, ohne hinzuzufügen, derjenige, der meint,<br />
Tiere leideten nicht, könne ruhig Tiere quälen.<br />
Die Beziehung der Schwangeren zu ihrem ungeborenen Kind interpretiert Spaemann zunächst<br />
als einseitige Fürsorgebeziehung, denn das Kind bedürfe am Anfang der ganzen<br />
Verantwortung der Mutter. 372 Dabei betrachtet er den Embryo im Gegensatz zu Gerhardt als<br />
eigenes Wesen sowie als Person und nicht als Teil der Mutter, wobei er davon ausgeht, dass<br />
auch die meisten Frauen dies so sähen. So könne anhand des Umgangs der werdenden Mutter<br />
365<br />
Spaemann, Verantwortung für die Ungeborenen (1988), in: Ders., Grenzen (2001), S. 371.<br />
366<br />
Gerhardt, Die angeborene Würde des Menschen (2004), S. 16.<br />
367<br />
Gerhardt, Biopolitik, in: Ders., Die angeborene Würde des Menschen (2004), S. 34.<br />
368<br />
Gerhardt, Die angeborene Würde des Menschen, in: Ders., Die angeborene Würde des Menschen (2004), S.<br />
121.<br />
369<br />
Gerhardt, Biopolitik, in: Ders., Die angeborene Würde des Menschen (2004), S. 34.<br />
370<br />
Spaemann, Verantwortung für die Ungeborenen (1988), in: Ders., Grenzen (2001), S. 372.<br />
371 ebd.<br />
372 Vgl. a.a.O., S. 373.<br />
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