Christina Kosbü - repOSitorium - Universität Osnabrück
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4.4.2 Spaemanns und Gerhardts Beurteilung der Sterbehilfe<br />
Lebensverlängernde Maßnahmen und Euthanasie<br />
Nach Robert Spaemann basiert die Euthanasieforderung auf einem Trend unserer<br />
Gesellschaft, der von drei Hauptfaktoren geprägt werde: der demographischen Situation der<br />
westlichen Industrieländer, den wachsenden Möglichkeiten, Leben durch den Einsatz von<br />
Apparaten zu verlängern und der hedonistisch-sentimentalen Grundstimmung der westlichen<br />
Industriegesellschaft, die es als höchstes Ziel betrachte, sich zu vergnügen oder zumindest<br />
wohl zu fühlen. 411 Auch hier zieht Spaemann einen Vergleich zur Nazizeit, in der es zunächst<br />
nur chronisch und Schwerkranke waren, deren Leben als nicht mehr lebenswert klassifiziert<br />
wurde, jedoch bald darauf der Kreis derjenigen, auf die dieses Kriterium zutraf, ausgeweitet<br />
wurde. Als Beweis dafür, dass dieser Vergleich nicht aus der Luft gegriffen ist, nennt<br />
Spaemann die Niederlande, in denen mittlerweile jährlich ein Drittel der Getöteten nicht mehr<br />
auf eigenes Verlangen, sondern auf das Urteil von Ärzten und Angehörigen hin getötet<br />
würden. Den wesentlichen Unterschied zwischen damals und heute sieht Spaemann nur darin,<br />
dass früher ohne gesetzliche Grundlage getötet worden sei. 412 Den Vergleich zur Nazizeit hält<br />
Gerhardt für abwegig. Es gehe lediglich darum, die Würde des Menschen zu wahren, der bei<br />
jeder Behandlung einwilligen müsse und seine Ablehnung oder Zustimmung zu einer<br />
weiteren Behandlung auch dann geben wolle, wenn er nicht mehr handlungsfähig sei. Dies<br />
habe nichts damit zu tun, lebensunwertes Leben vernichten zu wollen. Vielmehr stehe das<br />
Verlangen Einzelner im Vordergrund, nicht zum Weiterleben gezwungen zu werden. Es gehe<br />
also nur darum, die passive Sterbehilfe vom „Verdacht des Gesetzesbruchs“ 413 zu befreien.<br />
Die eigentliche Gefahr sieht er vielmehr darin, dass mit dem Todeswunsch Einzelner Profit<br />
gemacht werde.<br />
Spaemann beschäftigt die Frage, ob und inwieweit wir die o.g. Faktoren beeinflussen können.<br />
Er geht dabei davon aus, dass die medizinische Lebensverlängerung am einfachsten<br />
beeinflusst werden könne. Es müssten Kriterien eingeführt werden, die es erlaubten, normale<br />
Hilfe von „außerordentlichen Maßnahmen, mit denen wir einen Menschen [...] mit Gewalt am<br />
Sterben hindern“ 414 zu unterscheiden. Er hält die gewaltsame Lebensverlängerung für<br />
inhuman und plädiert für ein Recht des Menschen, menschenwürdig sterben zu dürfen. Vor<br />
411<br />
Vgl. Spaemann, Bemerkungen zur Euthanasiedebatte, in: Die Neue Ordnung 5/2004, S. 324f.<br />
412<br />
Vgl. Spaemann, Kontroverse über Sterbehilfe, in: ZfL 4/2005, S. 119.<br />
413<br />
a.a.O., S. 122.<br />
414<br />
Spaemann, Bemerkungen zur Euthanasiedebatte, in: Die Neue Ordnung 5/2004, S. 326.<br />
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