Christina Kosbü - repOSitorium - Universität Osnabrück
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jedoch, dass es sich um die „individuelle Entscheidung der Mutter“ 387 handle. Beratungs-<br />
gespräche könnten lediglich den Rahmen bieten, im vertraulichen Gespräch mit erfahrenen<br />
Anderen die Gründe abzuwägen, um sich selbst zu entscheiden. Wichtig sei es, der<br />
werdenden Mutter auch die physiologischen und psychologischen Risiken der Abtreibung<br />
sowie die lebensgeschichtliche Tragweite der Entscheidung bewusst zu machen. In Bezug auf<br />
die Selbstbestimmung der Frau vertritt Gerhardt also eine geradezu konträre Position zu<br />
Spaemann. Die soziale Indikation betrachtet Spaemann als „Schande für den Sozialstaat“ 388 .<br />
Es sei eine Bankrotterklärung, wenn der Staat mit seinem Verhalten erkläre, er könne der<br />
Mutter keine zumutbare Alternative zur Tötung bieten. Die soziale Indikation könne nur<br />
insofern akzeptiert werden, als eine Frau nachweislich nicht imstande ist, ihr Kind<br />
aufzuziehen. Dann könne sie nur das Recht nach sich ziehen, das Kind nach der Geburt zur<br />
Adoption freigeben zu dürfen.<br />
Beratung durch die Kirchen<br />
In Bezug auf das Verhalten der Kirchen kritisiert Spaemann die Einbindung „in das<br />
bestehende System der Abtreibungsorganisation“ 389 , wodurch die kirchlichen Beratungs-<br />
gespräche nicht freie und unabhängige Initiativen „zur Rettung ungeborener Kinder“ 390 seien,<br />
sondern mit dem Zweck, eine Legitimation für die Abtreibung zu erhalten, besucht würden.<br />
Da die Kirchen in diesem Rahmen arbeiteten, durch ihre Bescheinigungen einen Beitrag zur<br />
legalen Abtreibung leisteten und sich vom Staat finanzieren ließen, machten sie sich zum<br />
Komplizen der Abtreibungsorganisation. In der Ausstellung der Bescheinigungen sieht<br />
Spaemann eine reale Mitwirkung an der Tötung Ungeborener. Besonders empört ist<br />
Spaemann über die Richtlinien des Caritasverbandes, in denen es heiße, der Berater müsse die<br />
Entscheidung der Schwangeren nach der Beratung respektieren, auch wenn diese sich für den<br />
Abbruch entscheide. Er hält den Begriff respektieren für gleichbedeutend mit achten und<br />
stößt sich daran, eine Entscheidung nur deshalb zu achten, weil sie durch die Beratung<br />
überlegt sei anstatt, weil es eine gute Entscheidung sei. 391 Er geht davon aus, dass die These,<br />
das Gewissen der Mutter habe letzte Instanz über Leben und Tod des Kindes zu entscheiden,<br />
gleichbedeutend sei mit der These, dass es ein Recht des ungeborenen Kindes auf Leben nicht<br />
gibt. Er bedauert, dass die Bejahung der Schwangerschaft in den katholischen Beratungsricht-<br />
linien nur ein bedingtes Ziel zu sein scheint, während die Entscheidungsfreiheit ein<br />
387 Gerhardt, Der Mensch wird geboren (2001), S. 75.<br />
388 Spaemann, Verantwortung für die Ungeborenen (1988), in: Ders., Grenzen (2001), S. 375.<br />
389 a.a.O., S. 377.<br />
390 ebd.<br />
391 Vgl. a.a.O., S. 378.<br />
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