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Die soziale Konstruktion von Behinderung durch frühkindliche ...

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ei ausschließlich künstlicher Beleuchtung in einem rostigen Gitterbett auf einer vor<br />

Feuchtigkeit bereits schimmeligen Matratze gelegen habe. Nach Aussagen der<br />

Heimleitung sei Marian an seiner linken Hand und seinem linken Fuß am Bett fixiert<br />

worden, weil er „unruhig“ gewesen sei. Marian habe außerdem „den Teufel in den<br />

Genen“, er sei ein aggressives Kind, das immer aus dem Bett herauswolle, deshalb habe<br />

man ihn anbinden müssen. Das war auch der Grund, weshalb Marian im Liegen<br />

gefüttert wurde. Er bekam ausschließlich die Flasche mit flüssiger Nahrung. Kurz nach<br />

der Adoption in Deutschland stellte sich heraus, dass Marian zwölf<br />

Aspirationspneumonien überlebt hatte und seine Lunge gänzlich vernarbt ist.<br />

Marian verhalte sich immer wieder bewusst provokativ, hieß es in dem Kinderheim. Für<br />

die Eltern ergibt sich anhand dieser Aussagen der Heimleitung ein „erschreckendes<br />

Menschenbild“, mit dem Marian dort konfrontiert worden sei. <strong>Die</strong> medizinische<br />

Versorgung war mehr oder weniger ausreichend, was auch mit dem Status<br />

„nichtwiederherstellbar“ zusammenhängt. Bei Kindern dieser Kategorie fielen jegliche<br />

medizinische und therapeutische Angebote weg. Marians Eltern berichten <strong>von</strong> einer<br />

sehr minderwertigen Betreuungsqualität in den Heimen. Es gab kaum fachlich<br />

geschultes Personal. Häufig handelte es sich um angelernte Kräfte, die auf dem<br />

Arbeitsmarkt keine Chance auf eine andere Arbeit hatten und die dann die wenig<br />

angesehene und schlecht bezahlte Arbeit in den Heimen für „Nicht-Wiederherstellbare“<br />

leisteten. Das Kinderheim selbst glich einer alten Kaserne. Im Keller waren die Kinder<br />

einquartiert, in den eigentlichen Räumlichkeiten lebte das Personal mit seinen Familien.<br />

Lothar erzählt <strong>von</strong> einem großen Holzkreuz hinter dem Haus, dort seien die<br />

verstorbenen Kinder des Heims vergraben worden, denn Geld für Särge habe es nicht<br />

gegeben und die Kinder des Heims seien meist nicht älter als fünf oder sechs Jahre alt<br />

geworden.<br />

<strong>Die</strong>se begrenzten Informationen zu Marians Vergangenheit in dem Kinderheim<br />

entsprechen den Berichten, die aus anderen Quellen über rumänische Waisenkinder und<br />

ihre Versorgung bekannt wurden bzw. noch immer werden. Zu Beginn der 90er Jahre<br />

schwappten die ersten Informationen aus dem Ostblock in den Westen und Bilder <strong>von</strong><br />

verwahrlosten Waisenkindern gingen um die Welt. Nicht allein finanzielle Not der<br />

Eltern oder Mittellosigkeit des ehemals sozialistischen Landes waren für die Zustände<br />

in den Institutionen verantwortlich. <strong>Die</strong> hohe Zahl der Kinder in den Heimen hat in<br />

Rumänien eine Tradition und erfüllte unter anderem den politischen Zweck, Ceauşescus<br />

Geheimdienst mit Nachwuchs zu versorgen. In dem folgenden Exkurs möchte ich kurz<br />

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