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Die soziale Konstruktion von Behinderung durch frühkindliche ...

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(ebda, 1996, S.22). Nicht nur Blindheit oder Gehörlosigkeit verändern die Beziehung<br />

zwischen dem Menschen und der Welt, auch hirnorganische Verletzungen oder die<br />

Erfahrung schwerer Traumata können den Aufbau der psychischen Strukturen radikal<br />

umformen. Nach JANTZEN beschreibt das Syndrom die Auswirkungen isolierender<br />

Bedingungen auf die Beziehung zwischen dem Menschen und der Welt. Nach der<br />

Rekonstruktion der Geschichte und der Daten des Menschen, dem „Aufsteigen im<br />

Abstrakten“ (vgl. Lurija) folgt als zweite Stufe des diagnostischen Prozesses, indem das<br />

Syndrom in die konkrete Lebenssituation versetzt wird. Im „Aufsteigen vom Abstrakten<br />

zum Konkreten“ wird das hypothetisch angenommene Syndrom überprüft. <strong>Die</strong> <strong>durch</strong><br />

das Syndrom bedingte Entwicklungssituation wird am konkreten Fall bis zur aktuellen<br />

Entwicklung nachvollzogen, die Lebensgeschichte wird rekonstruiert (vgl. Jantzen,<br />

2005, S.19). <strong>Die</strong>se Entschlüsselung kann nicht ohne ein Hineinversetzen des<br />

Diagnostikers in die Position des Betroffenen geschehen. Er muss die Rolle des äußeren<br />

Beobachters aufgeben und sich <strong>von</strong> der Geschichte des Gegenüber „berühren lassen“.<br />

Damit ist dann der Übergang zum „Aufsteigen im Konkreten“ geleistet. Indem der<br />

spezielle Weg des speziellen Menschen nicht aus der Perspektive des neutralen<br />

Beobachters betrachtet wird, können die Prozesse der Verletzungen, die Auswirkungen<br />

<strong>von</strong> Gewalt und Isolation aufgespürt werden. An dieser Stelle vollzieht sich der<br />

Übergang vom Erklären zum Verstehen. <strong>Die</strong> Rekonstruktion der Geschichte eines<br />

Menschen unter Hinzunahme theoretischen Erklärungswissens ermöglicht es dem<br />

anderen sein Sosein zu verstehen und „aus dem ‚Fall Von’ des oder der Anderen (wird,<br />

A.S.) nunmehr ein Fall <strong>von</strong> Meinesgleichen“ (ebda, S. 26).<br />

Im Rahmen des Erklärens und des Aufspürens des Syndroms spricht JANTZEN <strong>von</strong> der<br />

Notwendigkeit einer allgemeinen Theorie psychischer Prozesse, innerhalb derer die<br />

Syndromanalyse ihren festen Platz einnimmt (ebda, S.99). <strong>Die</strong> Syndromanalyse<br />

verdeutlicht welche Auswirkungen das Syndrom auf das Verhältnis zu den Menschen<br />

und der Welt hat, sie erklärt jedoch nicht aus sich heraus das Entstehen intellektuellen<br />

Zurückbleibens oder geistiger <strong>Behinderung</strong> (ebda). Um die Theorie der<br />

Syndromanalyse auch auf psychopathologische Prozesse anwenden zu können, bedarf<br />

es des Instrumentariums der Entwicklungspsychologie und der<br />

Entwicklungspsychopathologie. Eine umfassende Entwicklungspsychologie ermöglicht<br />

die Einordnung bestimmter Symptome. Auch die Betrachtung des Aufbaus psychischer<br />

Prozesse oder eine Theorie <strong>soziale</strong>r Umwelten, die die Folgen der Isolation und der in<br />

diesen Lebensbedingungen möglichen oder unmöglichen Transaktionen beschreiben,<br />

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