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Die soziale Konstruktion von Behinderung durch frühkindliche ...

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ihm liegend eingeflößt, wurde nicht zu ersticken, Reaktionen wie Husten und sogar<br />

körperliche Krankheit wurden als Provokation und als Beweis seiner Teufelsgene<br />

gewertet und mit erneuter Gewalt beantwortet. Ohnmacht beschreibt die Position, in der<br />

sich Marian in seinen ersten zwei Lebensjahren befunden hat.<br />

Seit Marian in seiner Familie lebt, setzen seine Eltern alles daran, dass er, und auch sie<br />

gemeinsam als Familie nicht an diesen Pol der Macht verschoben werden. Immer<br />

wieder handeln sie im Sinne ihres Sohnes, wenn sie beispielsweise Therapien<br />

abbrechen, in denen Marian erneut Gewalt erfährt. Sie lassen sich <strong>von</strong> ihrem Sohn<br />

leiten, vertrauen in seine Fähigkeiten und seine Entwicklung, auch wenn sie sich damit<br />

gegen die Einschätzungen einiger Fachleute wenden. Anhand der folgenden Beispiele<br />

möchte ich verdeutlichen, wie sich Marians Eltern immer wieder schützend vor ihn<br />

stellen und keinerlei normative Ansprüche an ihren Sohn stellen:<br />

Susi und Lothar lassen sich <strong>von</strong> der Prognose einer Logopädin, Marian werde niemals<br />

sprechen lernen, wenn er nicht zuvor das Kauen erlerne, nicht verunsichern. <strong>Die</strong> Art und<br />

Weise, wie Marian das Kauen beigebracht werden soll, versetzt ihn in Panik, so dass die<br />

Therapie beendet wird. Sie versuchen mit ihrem Sohn in den Dialog zu treten, ihn zu<br />

verstehen und gemeinsame Motive zu schaffen. <strong>Die</strong> bedingungslose Zuneigung seiner<br />

Eltern verschafft Marian genug Sicherheit, sich entwickeln zu können und das<br />

gemeinsame Motiv, nämlich die Kommunikation miteinander, veranlasst Marian<br />

sprechen zu lernen, auch ohne zu kauen. Das Erlernen bestimmter Kulturtechniken wie<br />

selbständig essen, trinken oder angepasstes Verhalten, auf welches in der Arbeit mit<br />

behinderten Menschen oftmals ein so unverhältnismäßiger Wert gelegt wird, tritt vor<br />

der Schaffung emotional abgesicherter Räume in den Hintergrund.<br />

Im Kindergarten verwehren sich Marians Eltern beispielsweise vehement dagegen, dass<br />

ihrem Sohn der Daumen abgeklebt wird, um ihm das Lutschen daran abzugewöhnen.<br />

<strong>Die</strong> Funktion der Stabilisierung und Orientierung, welche das Daumenlutschen für<br />

Marian hat, steht als solche im Vordergrund. Marian nutzt seinen Daumen mittlerweile<br />

nur noch in Situationen großer Unsicherheit oder Müdigkeit, ansonsten hat er sich das<br />

Lutschen selbst „abgewöhnt“.<br />

Auch in der Schule bemühen sich Marians Eltern um Bedingungen, die Marians<br />

Sicherheitsbedürfnis befriedigen und die Voraussetzungen für Teilhabe und Lernen<br />

sind. Sie zeigen, im Kontext Schule wird dies besonders deutlich, ein hohes Maß an<br />

emotionaler, <strong>soziale</strong>r sowie kognitiver Kompetenz. Sehr bewusst ist ihnen das<br />

Bedürfnis ihres Sohnes nach Sicherheit. Sie kennen die Voraussetzungen, die es Marian<br />

ermöglichen den Schulalltag zu meistern und die Bedingungen, unter denen er<br />

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