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Die soziale Konstruktion von Behinderung durch frühkindliche ...

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Zustand hoher Verletzlichkeit versetzt. Negative Affekte und die Nicht-Erfüllung der<br />

Erwartung eines freundlichen Begleiters, als die ersten Erfahrungen seines Lebens,<br />

stellen die erschwerten Bedingungen dar, unter denen Marian sicht entwickelt hat und<br />

die den Aufbau eines gesunden Selbst und einer Art Urvertrauen verhindert haben. In<br />

der Zeit im Waisenheim wird Marian keinen Schutz erfahren haben. Immer wieder wird<br />

er Angriffen auf sein Körperselbst ausgesetzt gewesen sein, die mit Schmerz und<br />

negativen Affekten belegt waren. Das Essen und Trinken hat Marian vermutlich<br />

mehrmals in lebensbedrohliche Situationen versetzt und ihm Todesangst bereitet, die bis<br />

heute sein Erleben und sein Verhalten beeinflusst. Marian hat immense körperliche und<br />

psychische Verletzungen und Schmerzen erfahren und hat sich immer wieder neu<br />

organisiert und an seine Umwelt angepasst, um zu überleben. Nicht nur körperliche<br />

Narben behält er zurück, seine Verletzlichkeit ist geblieben. Doch sein Werden zeigt,<br />

dass sich in einer liebevollen und verständnisvollen Umgebung die höheren psychischen<br />

Funktionen trotz möglicher Hirnschädigung entwickeln können.<br />

Marians Eltern versuchen ihn in Zeiten großer Not aufzufangen und ihm Sicherheit zu<br />

bieten. Dazu gehören ein streng strukturierter Tagesablauf und die künstliche Reduktion<br />

<strong>von</strong> Reizen. Marians Selbstverletzungen können seine Eltern als Strategien der<br />

Verarbeitung und als Kompetenzen wahrnehmen. Sie versuchen Marian vor seinen<br />

eigenen Schlägen zu schützen, ihn jedoch nicht daran zu hindern. Sie begleiten ihn<br />

verständnisvoll und versuchen seine Not zu verbalisieren.<br />

<strong>Die</strong> traumatischen Erinnerungen sind eine Teil <strong>von</strong> Marian, sie haben sich in sein<br />

Gehirn eingeschrieben und beeinflussen seine Stressbewältigung. Somit sind sie nicht<br />

als Pathologien zu beschreiben oder als Symptome psychiatrischer Störungen, sondern<br />

als Adaptionsstrategien seines Organismus an isolierende und deprivierende<br />

Bedingungen.<br />

8.5 ‚Felder der Macht’<br />

Marian hat die Macht anderer Menschen bereits sehr früh in Form <strong>von</strong> Gewalt erfahren.<br />

Nicht sein Wohlbefinden stand im Vordergrund als darüber entschieden wurde, wo er<br />

leben sollte, sondern seine angebliche <strong>Behinderung</strong> war ausschlaggebend für den<br />

Stempel der Hoffnungslosigkeit. <strong>Die</strong> Aussage, er verhalte sich provokativ und trage<br />

Satansgene in sich, diente der Legitimation intrusiver Gewaltanwendungen. Marians<br />

Not wurde in dem rumänischen Heim nicht als solche erkannt, seine Versuche, Kontakt<br />

aufzunehmen oder die Isolation zu kompensieren, wurden als motorische Unruhe<br />

gewertet und <strong>durch</strong> Fixierung unterbunden. <strong>Die</strong> Versuche an der Flüssignahrung, die<br />

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