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Die soziale Konstruktion von Behinderung durch frühkindliche ...

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Relation erhalten (körperliche Angriffe: 13%, destruktives Verhalten: 5% und<br />

Selbstverletzungen: 6%). Bei sehr schwerer geistiger <strong>Behinderung</strong> dagegen erhöht sich<br />

der Prozentsatz der körperlichen Angriffe und des destruktiven Verhaltens nur noch<br />

leicht (16% und 7%), das selbstverletzende Verhalten steigert sich nahezu auf das<br />

Dreifache (17%) (Jantzen, 2002b, S. 6; vgl. 2002a). Der Autor verweist darauf, dass<br />

dementsprechende Werte und Steigerungen lediglich bei einer anderen<br />

Vergleichsgruppe gefunden wurden – bei Opfern schwerer, insbesondere auch<br />

sexueller, Gewalt in der Kindheit (vgl. ebda.). Bei Menschen, die als behindert gelten,<br />

im Speziellen als geistig behindert, sind Angriffe auf das Körperselbst, die zu schweren<br />

Traumatisierungen führen können, nicht unbedingt eine Seltenheit. Judith HERMANN<br />

(1993) beschreibt „Intrusive Kontrolle <strong>von</strong> Körperfunktionen <strong>durch</strong> gewaltsames<br />

Füttern, Hungernlassen oder die Verwendung <strong>von</strong> Klistieren, Schlafentzug; langes<br />

Ausgesetztsein gegenüber Hitze oder Kälte“ als typische Erfahrungen schwer<br />

traumatisierter Kinder (S. 139). Neben diesen zählt auch das tatsächliche Gefangen-<br />

oder Fixiertsein zu den häufig alltäglichen Erfahrungen schwer geistig behinderter<br />

Menschen. <strong>Die</strong> Folgen derartiger Erlebnisse, wie schwer wiegende Veränderungen im<br />

Hippokampusgebiet oder neurochemische Abweichungen, habe ich an anderer Stelle in<br />

Ansätzen beleuchtet (vgl. Kapitel 6). Studien zu unterschiedlichen neurologischen<br />

Syndromen, welche im Zusammenhang mit geistiger <strong>Behinderung</strong> stehen, belegen, dass<br />

Störungen im Hippokampusbereich und im Kleinhirnbereich vorliegen (Fetales-<br />

Alkohol-Syndrom, Down-Syndrom, Angelmann-Syndrom, Fragiles-X-Syndrom,<br />

Prader-Willi-Syndrom) (vgl. Pulsifer, 1996, zit. nach Jantzen, 2002b). Stress in der<br />

Pränatalperiode wird ebenfalls Veränderungen im hippokampalen System bewirken<br />

(ebda.), so dass sich die Frage stellt, ob derartige Störungen tatsächlich auf organischen<br />

Ursachen beruhen oder auch Resultat <strong>von</strong> Veränderungen in der frühen <strong>soziale</strong>n<br />

Transaktion sein können.<br />

<strong>Die</strong> Koexistenz <strong>von</strong> geistiger <strong>Behinderung</strong> und so genannten psychischen<br />

Auffälligkeiten lassen die Vermutung zu, dass Betroffene weitaus häufiger direkter und<br />

struktureller 20 Gewalt ausgesetzt sind als andere und dass diese Gewalterfahrungen<br />

einen großen Einfluss auf ihre Entwicklung haben. In Untersuchungen konnte ebenfalls<br />

ein Zusammenhang zwischen dem Schweregrad einer <strong>Behinderung</strong> und der Anwendung<br />

aversiver Behandlungsmethoden nachgewiesen werden: „je schwerer die <strong>Behinderung</strong>,<br />

20 Unter struktureller Gewalt kann die Einschränkung der Freiheit und der Identität verstanden werden.<br />

Dabei erfolgen Einschränkungen der Freiheit <strong>durch</strong> Marginalisierungen (an den Rand drängen) und<br />

Fragmentarisierungen (Vereinzelung), Einschränkungen der Identität <strong>durch</strong> Penetration und Normierung<br />

(vgl. Galtung, 1997, zit. nach Jantzen, 2002b).<br />

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