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Die soziale Konstruktion von Behinderung durch frühkindliche ...

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Jahren sichtbar werden“ (ebda, S.285). Einen Einfluss auf die Ausbildung der<br />

genannten Symptome schreibt SPITZ der Qualität der Beziehung zwischen Mutter und<br />

Kind vor der Trennung zu. Kinder, die eine positive Bindung erfahren haben, leiden<br />

stärker unter der Trennung als Kinder, deren Beziehung unzureichend war.<br />

Dauert die Trennung länger als die erwähnten fünf Monate an, ändert sich die<br />

Symptomatik und geht in die zweite Phase über, die SPITZ als Hospitalismus<br />

bezeichnet. <strong>Die</strong> Folgen dieses totalen Entzugs des Liebesobjekts beschreibt er als<br />

größtenteils irreversibel und glaubt, dass die Art der Mutter-Kind-Beziehung, welche<br />

vor dem Entzug bestand, keinen Einfluss mehr auf den Krankheitsverlauf hat.<br />

Kinder, die über einen Zeitraum <strong>von</strong> fünf Monaten hinaus keinerlei Objektbeziehungen<br />

eingehen können, die in einer Umgebung leben, in welcher keine Dialoge aufgebaut und<br />

damit Beziehungen oder Bindungen eingegangen werden können, <strong>durch</strong>laufen die<br />

Phase der anaklitischen Depression recht schnell, so SPITZ. Nach den drei Monaten<br />

verlangsamt sich dann die Motorik bis hin zur völligen Passivität. SPITZ beschreibt sie<br />

als Kinder, die in ihren Bettchen auf dem Rücken liegen, da sie nicht das Stadium<br />

motorischer Beherrschung erreicht haben, welches sie brauchen, um sich <strong>von</strong> der<br />

Rücken- in die Bauchlage zu drehen. Ihren Gesichtsausdruck bezeichnet er als „leer“<br />

und oft „schwachsinnig“. <strong>Die</strong> Koordination der Augen lässt nach. SPITZ schildert<br />

„seltsame Bewegungen der Finger, die an athetotische Bewegungen erinnern“ (ebda,<br />

S.290). <strong>Die</strong> Kinder zeigen ein beständiges Absinken ihres Entwicklungsquotienten, bis<br />

dieser am Ende des zweiten Lebensjahres <strong>durch</strong>schnittlich 45% des Normwertes<br />

beträgt. Zu diesem Zeitpunkt können die Kinder mit wenigen Ausnahmen weder sitzen,<br />

stehen, laufen noch sprechen. Für die dritte <strong>von</strong> SPITZ benannte Phase, den Marasmus,<br />

ist bedeutend, dass der Entzug affektiver Zufuhr und das Ausbleiben emotionaler<br />

Bindungsbeziehungen bis in das zweite Lebensjahr andauern und mit körperlichem<br />

Verfall einhergehen. <strong>Die</strong> Kinder reagieren mit gesteigerter Infektionsanfälligkeit und<br />

psychischen Funktionsstörungen auf die somatische Veränderungen folgen (ebda,<br />

S.292). Der körperliche und geistige Verfall der Kinder bei ausbleibender persönlicher<br />

Zuwendung führt zu einer auffälligen Erhöhung der Sterblichkeitsrate. SPITZ spricht<br />

<strong>von</strong> „emotionalem Verhungern“ (ebda, S.290).<br />

<strong>Die</strong> Ergebnisse, die SPITZ aus seinen Beobachtungen in Säuglingsheimen und<br />

Findelhäusern gewonnen hat, verdeutlichen die Bedeutung des Dialogs für die<br />

physische und psychische Entwicklung eines Menschen. Ein Mangel an emotionaler<br />

und persönlicher Zuwendung bedeutet ein Ausbleiben lebensnotweniger Informationen<br />

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