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Die soziale Konstruktion von Behinderung durch frühkindliche ...

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dass bestimmte bereichsspezifische Entwicklungsschritte auch zu einem späteren<br />

Zeitpunkt möglich sind.<br />

<strong>Die</strong> fehlende oder unzureichende Vermittlung zwischen den sympathischen und den<br />

parasympathischen Zuständen des ZNS kann sich ebenfalls nachhaltig auf die Fähigkeit<br />

zur Stressbewältigung auswirken. Der Grundstein dafür, wie ein Mensch im Laufe<br />

seines Lebens mit Stress umgeht, wird bereits in dieser frühen Entwicklungsphase<br />

gelegt. Marians Reaktionen auf bestimmte Auslöser (Menschenansammlungen, Lärm<br />

usw.) lassen darauf schließen, dass sich die beschriebenen Mängel in der Kindheit auf<br />

sein Stressbewältigungssystem ausgewirkt haben. <strong>Die</strong> erfahrene Isolation hat sich in<br />

seinem Gehirn fest eingeschrieben und beeinflusst seine weitere adaptive<br />

Stressregulation. Von anderen als harmlos bewertete Situationen können auf Marian als<br />

massive Stressoren wirken und unmodulierte emotionale Erfahrungen aus der Kindheit<br />

hervorrufen. In derartigen Situationen zeigt sich, dass er hin- und her gerissen scheint<br />

zwischen intrusiven, traumatischen Erinnerungen und vermeidenden dissoziativen<br />

Zuständen.<br />

<strong>Die</strong> nächste Zeit in Marians Leben ist nicht genau zu rekonstruieren. Erst etwa 1½ Jahre<br />

später ist in einem ärztlichen Gutachten <strong>von</strong> einer allgemeinen<br />

Entwicklungsverzögerung, einer chronischen Ernährungsstörung und fehlendem<br />

Blickkontakt gegenüber fremden Personen die Rede. Eine ständige motorische und<br />

psychische Unruhe sowie massive Schaukelbewegungen werden ebenfalls erwähnt.<br />

<strong>Die</strong>se Symptome erinnern an SPITZs Beschreibungen der Kinder in den Waisenheimen.<br />

Marian scheint zu diesem Zeitpunkt bereits erste Symptome als Folge eines fehlenden<br />

Austauschs zu entwickeln. Weitere Anhaltspunkte lassen sich erst ein weiteres Jahr<br />

später feststellen, als seine werdenden Eltern ihn besuchen. Marian ist zu diesem<br />

Zeitpunkt 2,8 Jahre alt. Es lässt sich vermuten, dass er die <strong>von</strong> SPITZ beschriebenen<br />

Stadien als Folge deprivierender Bedingungen in ähnlicher Weise <strong>durch</strong>laufen hat. Er<br />

kam zum Zeitpunkt der Adoption kurz vor seinem zweiten Geburtstag weder sitzen<br />

noch laufen, sprechen oder alleine essen. Ursächlich dafür könnten die Fixierungen der<br />

linken Hand und des linken Fußes am Kinderbett sein. Marian scheint wenige oder gar<br />

keine Möglichkeiten zum Bewegen, Erkunden oder zum Verlassen des Bettes gehabt zu<br />

haben. Gefüttert wurde Marian nach Informationen der Heimleiterin meist liegend mit<br />

Flüssignahrung aus der Trinkflasche und Kommunikation oder sprachlich emotionale<br />

Zuwendung hat er scheinbar ebenfalls kaum erfahren zu haben. <strong>Die</strong>se spärlichen Details<br />

legen nahe, dass Marian kaum Gelegenheiten gehabt hat, sich die Umwelt über seine<br />

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