26.10.2012 Aufrufe

Landesentscheid 2009 33. Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft"

Landesentscheid 2009 33. Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft"

Landesentscheid 2009 33. Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft"

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ist doch überparteilich und steht für Versöhnung!” Mit<br />

dieser Bitte war ein durchaus richtiges Empfinden für die<br />

Aufgabe der Kirche beschrieben. Sie vertritt keine partikularen<br />

oder gruppenspezifischen Interessen. Sie soll<br />

ein Gemeinschaftsinteresse entwickeln und fördern helfen,<br />

das die unterschiedlichen Gruppierungen und Lebensanschauungen<br />

in konstruktive Beziehung bringt.<br />

Nicht die einseitige Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis,<br />

sondern deren Vermittlung beschreibt die angemessene<br />

Aufgabe der Kirche im <strong>Dorf</strong>. Wenn auch Kirche und<br />

Pfarrhaus meist im alten <strong>Dorf</strong> stehen und damit der<br />

Wunsch der „Alt-Dörfler” verständlich ist, dass der Pfarrer<br />

einer von ihnen sein soll, steht der Pfarrer/die Pfarrerin<br />

zwischen den Kulturkreisen. Er/sie soll sie<br />

vermitteln und so das Zugehörigkeitsgefühl aller Menschen<br />

zu ihrer Lebenswelt stärken.<br />

Das Leitbild des <strong>Dorf</strong>es, in dem ich lebe – es wurde im<br />

Zuge des <strong>Dorf</strong>erneuerungsprozesses entwickelt – lautet:<br />

In unserem <strong>Dorf</strong> soll jede und jeder Heimat, Bildung und<br />

Identität finden. Die Kirchengemeinde wird zum Forum<br />

für einen Diskurs über die unterschiedlichen Vorstellungen<br />

und Lebensentwürfe im <strong>Dorf</strong>. Die dahinter stehende<br />

Vision ist die Beheimatung aller Menschen im Ort, die<br />

versöhnte Gemeinschaft bei unterschiedlichen biographischen,<br />

religiösen und kulturellen Prägungen.<br />

Eine biblische Metapher für diese Vision finde ich im<br />

„wandernden Gottesvolk“: Zu dem in der Wüste wandernden<br />

Volk gehörten Avantgardisten und Nachzügler,<br />

Links- und Rechtsabweichler, Zentralisten und Randsiedler.<br />

Sie zählten alle dazu. Erst zusammen waren sie<br />

das Volk. Für die Gemeinsamkeit stand der Kultus (Gottesdienst,<br />

Gebet, Gesang), der alle in ihrer Würde achtete<br />

und sie über alle Unterschiede hinweg einte. Die<br />

dargelegte kulturorientierte Aufgabenstellung der Kirche<br />

geht über religiöse Dienstleistung (Gottesdienst,<br />

Amtshandlung, Unterricht) hinaus. Sie ist ein ständiger<br />

Prozess der Partizipation und Begleitung von Menschen<br />

in einem sich wandelnden Lebensraum. Der evangelische<br />

Theologe Friedrich Schleiermacher <strong>hat</strong> einmal von<br />

der gegenseitigen Anverwandlung von Glaube und Lebenswelt<br />

gesprochen. Dieser Prozess lässt sich an dem<br />

Dreischritt der Organisationsentwicklung – wahrnehmen,<br />

verstehen, gestalten – deutlich machen.<br />

Wahrnehmen<br />

In einem <strong>Dorf</strong> war nach mehrjähriger Vakanzzeit wieder<br />

ein Pfarrer in sein Amt eingeführt worden. Auf die Frage,<br />

was man von ihm erwarte, sagte jemand: „Wir wollen,<br />

dass der Pfarrer für uns da ist und keine Programme auf<br />

uns runterlässt“. Die Präsenz des Pfarrers ist nötig, seine<br />

wahrnehmende Anwesenheit, die teilnehmende Partizipation.<br />

Innerkirchlich gesprochen geht es weniger um<br />

die Residenz im Pfarrhaus, mehr um die empathische<br />

und zuverlässige Präsenz im Lebensraum. Der Pfarrer/die<br />

Pfarrerin soll die Menschen aufsuchen, ihre Bedürfnisse<br />

und Lebenssituationen kennenlernen und<br />

angemessen zur Sprache bringen. Die Landbevölkerung<br />

ist durch die kulturellen Verluste der letzten Jahrzehnte<br />

weitgehend verstummt. Besonders den Bauern <strong>hat</strong> es<br />

die Sprache verschlagen, die „Opfer” veränderter Lebensbedingungen<br />

wurden! Dieses Phänomen aufmerksam<br />

wahrzunehmen und behutsam und angemessen<br />

wieder zur Sprache zu bringen, ist eine geradezu seismographische<br />

Aufgabe für die Kirche auf dem Land.<br />

Verstehen<br />

Ulf Häbel<br />

Wenn es uns gelingt die unterschiedlichen Bedürfnisse<br />

und Lebensumstände der Menschen angemessen auszudrücken<br />

und in einen konstruktiven Diskurs miteinander<br />

zu bringen, werden sich die Menschen von „ihrer<br />

Kirche“ verstanden und sich ihr zugehörig fühlen. Wenn<br />

wir nicht einseitig für Traditionen oder moderne Ideen,<br />

für individuelle Interessen oder Anpassungen an Kollektive<br />

stehen, sondern die faire und konstruktive Beziehung<br />

der Unterschiede aufeinander fördern, kann ein neues<br />

Verständnis für eine versöhnte Gemeinschaft entstehen.<br />

Mit einem Begriff aus der interaktionistischen Rollentheorie<br />

kann man das die Ambiguitätstoleranz nennen.<br />

Damit ist nicht eine repressive Toleranz gemeint, die<br />

sagt, man kann es ja nicht ändern, dass es die Anderen<br />

(Rand-Dörfler, Traditionalisten usw.) gibt, man muss sie<br />

eben ertragen. Ambiguitätstoleranz ist der Wunsch und<br />

das Bestreben, die anderen zu verstehen und bei allen<br />

religiösen, biographischen oder kulturellen Verschiedenheiten<br />

den Lebensraum, den alle teilen auch gemeinsam<br />

zu gestalten. Für dieses Bemühen steht die<br />

Kirche im <strong>Dorf</strong>. Deshalb sollten Pfarrerinnen und Pfarrer<br />

Lotsen zwischen den Kulturkreisen sein und für einen<br />

zielorientierten Diskurs einstehen.<br />

172 <strong>33.</strong> <strong>Wettbewerb</strong> „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> Zukunft”

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!