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In dieser Stunde ging es um Manifest Destiny, den Gedanken, dass Amerikaner dazu auserwählt seien, die ganze<br />
Welt zu erobern (zumindest klang es in ihrer Darstellung so), und sie schien mir zu versuchen, mich zu irgendwelchen<br />
Reaktionen zu provozieren, um mich wieder rauswerfen zu können.<br />
Ich spürte die Blicke der ganzen Klasse auf mir, und das erinnerte mich an M1k3y und die Leute, die zu ihm aufschauten.<br />
Ich hatte es satt, dass man zu mir aufschaute. Ich vermisste Ange.<br />
Ich brachte den Rest des Tages hinter mich, ohne mir irgendwelche K<strong>ai</strong>nszeichen einzuhandeln. Schätzungsweise<br />
sagte ich keine acht Worte.<br />
Endlich war es vorbei, und ich sauste zur Tür, zum Tor, raus zur blöden Mission und zu meinem dämlichen<br />
Zuhause.<br />
Ich war kaum zum Tor raus, als jemand in mich reinrannte. Es war ein junger Obdachloser, vielleicht mein Alter<br />
oder ein bisschen älter. Er trug einen langen, speckigen Mantel, Jeans wie Kartoffelsäcke und verwarzte Turnschuhe,<br />
die aussahen wie einmal durch den Häcksler gelaufen. Sein langes Haar hing ihm ins Gesicht, und ein Zottelbart<br />
hing ihm bis runter in den Kragen eines völlig verblichenen Strickpullis.<br />
Das alles realisierte ich, während wir nebeneinander auf dem Bürgersteig lagen und die Leute an uns vorbeihasteten<br />
und komisch guckten. Sah so aus, als sei er in mich reingerannt, während er Valencia runterhastete, vermutlich<br />
von der Last seines Rucksacks gebeugt, der neben ihm auf dem Gehsteig lag, eng bedeckt mit geometrischen<br />
Kritzeleien mit Filzstift.<br />
Er setzte sich auf die Knie und wippte vor und zurück, als ob er betrunken war oder seinen Kopf gestoßen hatte.<br />
„Sorry, Kumpel“, sagte er. „Hab dich nicht gesehen. Biste verletzt?“ Ich setzte mich ebenfalls auf. Nichts fühlte<br />
sich verletzt an.<br />
„Hm, nein, alles okay.“<br />
Er stand auf und lächelte. Seine Zähne waren erschreckend weiß und ebenmäßig, die hätten auch eine Anzeige<br />
für eine kieferorthopädische Klinik zieren können. Er streckte mir seine Hand entgegen, und sein Griff war kräftig<br />
und bestimmt.<br />
„Tut mir echt Leid.“ Auch seine Stimme war klar und aufgeweckt. Ich hätte erwartet, dass er klang wie einer dieser<br />
Besoffenen, die mit sich selbst sprachen, wenn sie nachts durch die Straßen der Mission wankten, aber er klang<br />
eher wie ein gut informierter Buchhändler.<br />
„Kein Problem“, sagte ich.<br />
Er streckte nochmals die Hand aus.<br />
„Zeb.“<br />
„Marcus.“<br />
„Ein Vergnügen, Marcus“, sagte er. „Hoffe, ich renne mal wieder in dich rein!“ Lachend schnappte er seinen Rucksack,<br />
machte auf dem Absatz kehrt und eilte davon.<br />
x<br />
Den Rest des Weges nach Hause lief ich wie benebelt vor mich hin. Mom saß am Küchentisch, und wir plauderten<br />
über dies und jenes, gerade so, wie wir es immer getan hatten, bevor sich alles änderte.<br />
Ich ging rauf in mein Zimmer und ließ mich in meinen Stuhl fallen. Ausnahmsweise hatte ich keine Lust, mich<br />
ins Xnet einzuloggen. Das hatte ich schon heute früh vor der Schule getan und dabei festgestellt, dass mein Blogeintrag<br />
eine gigantische Kontroverse ausgelöst hatte zwischen Leuten, die sich meiner Meinung anschlossen, und<br />
anderen, die ernsthaft angepisst waren davon, dass ich ihnen sagte, sie sollten ihren Lieblingssport aufgeben.<br />
Hier lagen noch dreitausend Projekte rum aus der Zeit, bevor das alles angefangen hatte. Ich war dabei, eine Lochkamera<br />
aus Legos zu bauen, und ich hatte ein bisschen mit Lenkdrachen-Luftbildfotografie rumgespielt, indem<br />
ich eine alte Digitalkamera mit einem Auslöser aus Hüpfknete getunt hatte, der sich beim Start des Drachens ausdehnte,<br />
langsam zu seiner alten Form zurückfand und dabei die Kamera in gleichmäßigen Abständen auslöste.<br />
Außerdem war da noch ein Vakuum-Röhrenverstärker, den ich in eine prähistorische, verrostete und verbeulte<br />
Olivenöl-Dose eingebaut hatte – sobald das erledigt war, wollte ich eine Docking-Station für mein Handy einbauen<br />
und das Ganze um ein Set von 5.1-Surround-Boxen aus Tunfischdosen erweitern.<br />
Ich schaute über meine Arbeitsplatte und griff mir schließlich die Lochkamera. Gewissenhaft Legos ineinanderzustecken<br />
war heute genau mein Tempo.<br />
Cory Doctorow: Little Brother x