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Und noch schlimmer: Die werden immer früher und früher erwachsen. Früher hieß es mal, ‚trau keinem über 30‘.<br />
Ich sage: ‚Trau keinem Mistkerl über 25‘.“<br />
Alle lachten, und sie lachte mit. Sie war auf eine merkwürdige Weise hübsch, ihr langes Gesicht und die kräftigen<br />
Kiefer gaben ihr entfernt was von einem Pferd. „Ich mein das nicht als Witz, wisst ihr? Ich meine, denkt mal drüber<br />
nach. Wer hat denn diese Arschgeigen gewählt? Wer hat ihnen gesagt, dass sie unsere Stadt besetzen sollen?<br />
Wer hat denn dafür gestimmt, Kameras in unseren Klassenräumen aufzuhängen und uns mit ihren ekligen Schnüffelchips<br />
in unseren Transitpässen und Autos überall hinterher zu rennen? Das war doch kein 16-Jähriger. Wir sind<br />
jung und vielleicht nicht ganz dicht, aber Abschaum sind wir nicht.“<br />
„Das will ich auf nem T-Shirt“, sagte ich.<br />
„Das wär ein gutes“, entgegnete sie. Wir lächelten uns an.<br />
„Wo bekomm ich jetzt meine Schlüssel?“, fragte sie und zog ihr Handy raus.<br />
„Wir machen das da drüben, in der stillen Ecke bei den Höhlen. Ich bring dich rein und bereite den Rechner vor,<br />
dann machst du deine Sache und bringst die Maschine zu deinen Freunden, damit die Fotos von deinem öffentlichen<br />
Schlüssel machen und ihn zuhause signieren können.“<br />
Ich erhob die Stimme. „Ach, eins noch! Mist, wie konnte ich das vergessen? Ihr müsst die Fotos löschen, sobald<br />
ihr die Schlüssel eingetippt habt! Das letzte, was wir brauchen können, ist ein Flickr-Stream mit Fotos von uns<br />
allen bei unserer konspirativen Sitzung.“<br />
Als Antwort kam ein bisschen nervöses, gutmütiges Kichern, dann machte Jolu das Licht aus, und in der plötzlichen<br />
Dunkelheit konnte ich nichts mehr sehen. Nach und nach passten sich meine Augen an, und ich machte<br />
mich auf den Weg zur Höhle. Jemand ging hinter mir. Ange. Ich drehte mich um und lächelte sie an, sie lächelte<br />
zurück, und ihre Zähne leuchteten in der Dunkelheit.<br />
„Danke für grade eben“, sagte ich. „Du warst toll.“<br />
„Hast du das ernst gemeint, was du von der Tüte überm Kopf und all dem Zeug erzählt hast?“<br />
„Hab ich“, antwortete ich. „Das ist echt passiert. Ich hab es noch niemandem erzählt, aber es ist passiert.“<br />
Ich dachte einen Moment drüber nach.<br />
„Weißt du, nach all der Zeit, seit das passiert ist, ohne dass ich irgendwas erzählt habe, hat es sich irgendwann nur<br />
noch wie ein böser Traum angefühlt. Aber es war echt.“<br />
Ich hielt an und kletterte dann zur Höhle hoch.<br />
„Ich bin froh, dass ichs endlich ein paar Leuten erzählt habe. So langsam dachte ich schon, ich wäre<br />
durchgedreht.“<br />
Ich stellte den Laptop auf einen trockenen Felsbrocken und fuhr ihn vor ihren Augen von der DVD hoch.<br />
„Ich werde ihn für jeden von euch neu starten. Das hier ist eine normale ParanoidLinux-DVD, aber ich schätze, das<br />
musst du mir einfach so glauben.“<br />
„Zum Teufel“, sagte sie. „Geht es hier um Vertrauen oder was?“<br />
„Ja“, sagte ich. „Vertrauen.“<br />
Ich ging ein paar Schritte weg, während sie den Schlüsselgenerator laufen ließ, hörte ihr zu, wie sie tippte und<br />
klickte, um Zufallsdaten zu generieren, hörte dem Rauschen der Brandung zu, hörte den Partygeräuschen zu, die<br />
von dort her kamen, wo das Bier war.<br />
Sie kam aus der Höhle raus, den Laptop in den Händen. Darauf waren in großen, leuchtend weißen Lettern ihr<br />
öffentlicher Schlüssel, ihr Fingerprint und ihre E-M<strong>ai</strong>l-Adresse zu sehen. Sie hielt den Monitor hoch neben ihr<br />
Gesicht und wartete, während ich mein Handy rauskramte.<br />
„Cheese“, sagte sie. Ich machte ein Bild von ihr und steckte die Kamera wieder ein. Sie ging weiter zu den Zechern<br />
und ließ jeden ein Foto von ihr mit dem Monitor machen. Es hatte was Feierliches. Und es war lustig. Sie hatte<br />
wirklich eine Menge Charisma – man wollte sie nicht bloß anlachen, man wollte mit ihr lachen. Und verdammt<br />
noch mal, es war lustig. Wir erklärten gerade einen geheimen Krieg gegen die Geheimpolizei. Wer dachten wir<br />
denn, wer wir waren?<br />
So ging es vielleicht eine Stunde lang weiter, jeder machte Fotos und erzeugte Schlüssel. Ich lernte jeden hier<br />
kennen. Ich kannte schon viele – einige hatte ich ja selbst eingeladen –, und die anderen waren Freunde meiner<br />
Cory Doctorow: Little Brother x