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kapitel 1 - adamas.ai

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Und noch schlimmer: Die werden immer früher und früher erwachsen. Früher hieß es mal, ‚trau keinem über 30‘.<br />

Ich sage: ‚Trau keinem Mistkerl über 25‘.“<br />

Alle lachten, und sie lachte mit. Sie war auf eine merkwürdige Weise hübsch, ihr langes Gesicht und die kräftigen<br />

Kiefer gaben ihr entfernt was von einem Pferd. „Ich mein das nicht als Witz, wisst ihr? Ich meine, denkt mal drüber<br />

nach. Wer hat denn diese Arschgeigen gewählt? Wer hat ihnen gesagt, dass sie unsere Stadt besetzen sollen?<br />

Wer hat denn dafür gestimmt, Kameras in unseren Klassenräumen aufzuhängen und uns mit ihren ekligen Schnüffelchips<br />

in unseren Transitpässen und Autos überall hinterher zu rennen? Das war doch kein 16-Jähriger. Wir sind<br />

jung und vielleicht nicht ganz dicht, aber Abschaum sind wir nicht.“<br />

„Das will ich auf nem T-Shirt“, sagte ich.<br />

„Das wär ein gutes“, entgegnete sie. Wir lächelten uns an.<br />

„Wo bekomm ich jetzt meine Schlüssel?“, fragte sie und zog ihr Handy raus.<br />

„Wir machen das da drüben, in der stillen Ecke bei den Höhlen. Ich bring dich rein und bereite den Rechner vor,<br />

dann machst du deine Sache und bringst die Maschine zu deinen Freunden, damit die Fotos von deinem öffentlichen<br />

Schlüssel machen und ihn zuhause signieren können.“<br />

Ich erhob die Stimme. „Ach, eins noch! Mist, wie konnte ich das vergessen? Ihr müsst die Fotos löschen, sobald<br />

ihr die Schlüssel eingetippt habt! Das letzte, was wir brauchen können, ist ein Flickr-Stream mit Fotos von uns<br />

allen bei unserer konspirativen Sitzung.“<br />

Als Antwort kam ein bisschen nervöses, gutmütiges Kichern, dann machte Jolu das Licht aus, und in der plötzlichen<br />

Dunkelheit konnte ich nichts mehr sehen. Nach und nach passten sich meine Augen an, und ich machte<br />

mich auf den Weg zur Höhle. Jemand ging hinter mir. Ange. Ich drehte mich um und lächelte sie an, sie lächelte<br />

zurück, und ihre Zähne leuchteten in der Dunkelheit.<br />

„Danke für grade eben“, sagte ich. „Du warst toll.“<br />

„Hast du das ernst gemeint, was du von der Tüte überm Kopf und all dem Zeug erzählt hast?“<br />

„Hab ich“, antwortete ich. „Das ist echt passiert. Ich hab es noch niemandem erzählt, aber es ist passiert.“<br />

Ich dachte einen Moment drüber nach.<br />

„Weißt du, nach all der Zeit, seit das passiert ist, ohne dass ich irgendwas erzählt habe, hat es sich irgendwann nur<br />

noch wie ein böser Traum angefühlt. Aber es war echt.“<br />

Ich hielt an und kletterte dann zur Höhle hoch.<br />

„Ich bin froh, dass ichs endlich ein paar Leuten erzählt habe. So langsam dachte ich schon, ich wäre<br />

durchgedreht.“<br />

Ich stellte den Laptop auf einen trockenen Felsbrocken und fuhr ihn vor ihren Augen von der DVD hoch.<br />

„Ich werde ihn für jeden von euch neu starten. Das hier ist eine normale ParanoidLinux-DVD, aber ich schätze, das<br />

musst du mir einfach so glauben.“<br />

„Zum Teufel“, sagte sie. „Geht es hier um Vertrauen oder was?“<br />

„Ja“, sagte ich. „Vertrauen.“<br />

Ich ging ein paar Schritte weg, während sie den Schlüsselgenerator laufen ließ, hörte ihr zu, wie sie tippte und<br />

klickte, um Zufallsdaten zu generieren, hörte dem Rauschen der Brandung zu, hörte den Partygeräuschen zu, die<br />

von dort her kamen, wo das Bier war.<br />

Sie kam aus der Höhle raus, den Laptop in den Händen. Darauf waren in großen, leuchtend weißen Lettern ihr<br />

öffentlicher Schlüssel, ihr Fingerprint und ihre E-M<strong>ai</strong>l-Adresse zu sehen. Sie hielt den Monitor hoch neben ihr<br />

Gesicht und wartete, während ich mein Handy rauskramte.<br />

„Cheese“, sagte sie. Ich machte ein Bild von ihr und steckte die Kamera wieder ein. Sie ging weiter zu den Zechern<br />

und ließ jeden ein Foto von ihr mit dem Monitor machen. Es hatte was Feierliches. Und es war lustig. Sie hatte<br />

wirklich eine Menge Charisma – man wollte sie nicht bloß anlachen, man wollte mit ihr lachen. Und verdammt<br />

noch mal, es war lustig. Wir erklärten gerade einen geheimen Krieg gegen die Geheimpolizei. Wer dachten wir<br />

denn, wer wir waren?<br />

So ging es vielleicht eine Stunde lang weiter, jeder machte Fotos und erzeugte Schlüssel. Ich lernte jeden hier<br />

kennen. Ich kannte schon viele – einige hatte ich ja selbst eingeladen –, und die anderen waren Freunde meiner<br />

Cory Doctorow: Little Brother x

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