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Auf dem Flur, auf dem Darryl untergebracht war, standen zwei Nationalgardisten. Sie wehrten einen Pulk von<br />
Reportern ab, die auf Zehenspitzen standen, um einen Blick und ein Foto zu erhaschen. Die Blitze explodierten<br />
wie Stroboskope in unseren Augen, und ich schüttelte den Kopf, um den Blick wieder klar zu bekommen. Meine<br />
Eltern hatten mir saubere Klamotten mitgebracht, die ich auf dem Rücksitz angezogen hatte, aber ich fühlte mich<br />
immer noch ekelhaft, obwohl ich mich im Waschraum des Gerichts abgeschrubbt hatte.<br />
Einige der Reporter riefen meinen Namen. Ach ja, ich war jetzt berühmt. Auch die Nationalgardisten warfen mir<br />
Blicke zu – entweder sie erkannten mein Gesicht oder meinen Namen, den die Reporter riefen.<br />
Darryls Vater traf uns an der Tür zu seinem Krankenzimmer; er sprach im Flüsterton, so dass die Reporter nichts<br />
aufschnappen konnten. Er war in Zivil, in Jeans und Pulli, wie ich ihn kannte, aber er hatte sich die Dienstabzeichen<br />
an die Brust geheftet.<br />
„Er schläft“, sagte er. „Vor einer Weile ist er aufgewacht und hat geweint. Er hat überhaupt nicht mehr aufgehört.<br />
Dann haben sie ihm etwas gegeben, um ihm beim Einschlafen zu helfen.“<br />
Er führte uns hinein, und da lag Darryl, das Haar gewaschen und gekämmt, und schlief mit offenem Mund. In seinen<br />
Mundwinkeln war irgendwas Weißes zu sehen. Er hatte ein halbprivates Zimmer, und im anderen Bett lag ein<br />
älterer arabisch aussehender Typ in den Vierzigern. Ich erkannte ihn als denjenigen, mit dem ich auf dem Rückweg<br />
von Treasure Island zusammengekettet gewesen war. Wir winkten uns verlegen zu.<br />
Dann wandte ich mich wieder Darryl zu. Ich nahm seine Hand. Seine Nägel waren bis aufs Fleisch abgekaut. Als<br />
Kind war er ein Nägelkauer gewesen, aber an der Highschool hatte er sichs abgewöhnt. Ich glaube, Van hatte es<br />
ihm ausgeredet, indem sie ihm erklärte, wie eklig es war, dass er ständig die Finger im Mund hatte.<br />
Ich hörte, wie meine Eltern und Darryls Dad einen Schritt zurücktraten und die Gardinen um uns zuzogen. Ich<br />
legte meinen Kopf aufs Kissen neben seinen. Er hatte einen strähnigen, unregelmäßigen Bart, der mich an Zeb<br />
erinnerte.<br />
„Hey, D“, sagte ich. „Du hast es geschafft. Du kommst wieder auf die Beine.“ Er schnarchte ein wenig. Fast hätte<br />
ich „Ich liebe dich“ gesagt, ein Satz, den ich erst zu einem einzigen Menschen außerhalb der Familie gesagt hatte<br />
und der sich merkwürdig anhörte, wenn man ihn zu einem anderen Typen sagte.<br />
Schließlich drückte ich bloß noch einmal seine Hand. Armer Darryl.<br />
Cory Doctorow: Little Brother x