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kapitel 1 - adamas.ai

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Kapitel 6<br />

Dieses Kapitel ist Powell’s Books gewidmet, der legendären „Stadt der Bücher“ in Portland, Oregon. Powell’s ist die größte Buchhandlung der Welt, ein<br />

endloses Universum von Papiergerüchen und turmhohen Regalen über mehrere Etagen. Dort stellen sie neue und gebrauchte Bücher in dieselben Regale<br />

– das ist etwas, das ich schon immer mochte –, und jedes Mal, wenn ich dort bin, hatten sie einen ordentlichen Berg meiner Bücher vorrätig und waren<br />

unglaublich liebenswürdig, wenn es darum ging, meine vorrätigen Bücher zu signieren. Die Angestellten sind freundlich, die Auswahl überwältigend, und<br />

es gibt sogar einen Powell’s am Flughafen in Portland, für meinen Geschmack der beste Flughafen-Buchladen der Welt!<br />

Powell’s Books: http://www.powells.com/cgi-bin/biblio?isbn=9780765319852 1005 W Burnside, Portland, OR 97209 USA +1 800 878 7323<br />

b ihrs glaubt oder nicht, meine Eltern bestanden drauf, dass ich am nächsten Tag zur Schule ging. Erst um drei<br />

Owar ich in fiebrigen Schlaf gefallen, aber um sieben stand mein Dad am Fußende des Bettes und drohte mich<br />

an den Knöcheln rauszuziehen. Irgendwie schaffte ichs, aufzustehen – etwas musste in meinem Mund gestorben<br />

sein, nachdem es mir die Augenlider zugekleistert hatte – und die Dusche zu finden.<br />

Ich erlaubte meiner Mom, eine Scheibe Toast und eine Banane in mich reinzuzwingen, und wünschte mir nichts<br />

mehr, als dass meine Eltern mich daheim mal Kaffee trinken ließen. Ich konnte mir zwar einen auf dem Weg zur<br />

Schule besorgen, aber ihnen dabei zuzusehen, wie sie ihr schwarzes Gold schlürften, während ich meinen Hintern<br />

durchs Haus schleppte, mich anzog und meine Bücher in die Tasche packte, das war mies.<br />

Ich bin den Weg zur Schule schon tausend Mal gegangen, aber dieses Mal wars anders. Ich ging über die Hügel<br />

runter ins Mission-Viertel, und überall waren Trucks. Ich sah, dass an vielen Stoppschildern neue Sensoren und<br />

Verkehrsüberwachungskameras installiert waren. Irgendjemand hatte eine Menge Schnüffelzeug rumliegen gehabt<br />

und nur auf die erste Gelegenheit gewartet, es installieren zu können. Der Anschlag auf die Bay Bridge war genau<br />

das gewesen, was diese Leute brauchten.<br />

Das alles machte die Stadt irgendwie gedämpfter, wie in einem Fahrstuhl, die erhöhte Aufmerksamkeit deiner<br />

Nachbarn und die allgegenwärtigen Kameras waren bedrückend.<br />

Der türkische Coffeeshop auf der 24. Straße peppte mich mit einem Türkischen Kaffee zum Mitnehmen auf. Im<br />

Grunde ist Türkischer Kaffee Schlamm, der behauptet, Kaffee zu sein. Er ist dickflüssig genug, dass ein Löffel drin<br />

stehenbleibt, und hat viel mehr Koffein als Red Bull und diese ganze Kinderbrause. Glaubt es jemandem, der den<br />

Wikipedia-Eintrag gelesen hat: Das Ottomanische Reich wurde erobert von wildgewordenen Reitern, die von tödlich-tiefschwarzem<br />

Kaffeeschlamm angetrieben waren.<br />

Ich zog meine Kreditkarte zum Zahlen raus und er zog ein Gesicht. „Kein Kredit mehr“, sagte er.<br />

„Was? Warum nicht?“ Meine Kaffeesucht hatte ich beim Türken schon seit Jahren mit der Kreditkarte gezahlt. Er<br />

zog mich ständig auf, behauptete, ich sei noch zu jung, das Zeug zu trinken, und weigerte sich komplett, mir während<br />

der Unterrichtszeit was zu verkaufen, weil er sicher war, ich würde die Schule schwänzen. Aber im Lauf der<br />

Jahre hatten der Türke und ich so eine Art stillschweigendes Einvernehmen entwickelt.<br />

Er schüttelte traurig den Kopf. „Das würdest du nicht verstehen. Geh zur Schule, Junge.“ Der sicherste Weg, mich<br />

dazu zu bringen, etwas verstehen zu wollen, ist zu behaupten, das würde ich nicht verstehen. Ich beschwätzte ihn<br />

und bestand drauf, dass ers mir erzählte. Erst guckte er, als sei er drauf und dran, mich rauszuwerfen, aber als ich<br />

ihn fragte, ob ich ihm als Kunde nicht mehr gut genug sei, taute er auf.<br />

„Sicherheit“, sagte er und schaute über seinen kleinen Laden mit den Packungen voll getrockneter Bohnen und<br />

Samen, den Regalen mit türkischem Obst und Gemüse. „Die Regierung. Überwachen jetzt alles; stand in der Zeitung.<br />

PATRIOT Act II hat Kongress gestern beschlossen. Jetzt können sie immer sehen, wenn du deine Karte<br />

benutzt. Ich sage nein. Ich sage, mein Laden hilft ihnen nicht dabei, meine Kunden auszuschnüffeln.“<br />

Meine Kinnlade klappte runter.<br />

„Denkst du vielleicht, was macht das schon? Wo ist das Problem, wenn Regierung weiß, wann du Kaffee kaufst?<br />

Weil sie wissen, wo du bist und wo du warst. Warum denkst du, ich bin aus Türkei fort? Wo Regierung immer das<br />

Volk ausspioniert, ist nicht gut. Ich komme vor zwanzig Jahren wegen Freiheit hierher – ich helfe ihnen nicht,<br />

Freiheit wegzunehmen.“<br />

„Aber Sie verlieren so viele Kunden“, stammelte ich. Ich wollte ihm sagen, dass er ein Held sei, und seine Hand<br />

schütteln, aber nur das kam raus. „Jeder benutzt Kreditkarten.“<br />

„Vielleicht nicht mehr so viel. Vielleicht kommen meine Kunden hierher, weil sie wissen, ich liebe auch Freiheit.<br />

Ich mache Schild für Fenster. Vielleicht machen andere Läden auch. Ich höre, ACLU2 will sie deshalb verklagen.“<br />

2 American Civil Liberties Union, Amerikanische Bürgerrechts-Union, A.d.Ü.<br />

x Cory Doctorow: Little Brother

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