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Wie sich rausstellte, waren die Planungen für das Konzert im Park schon seit Wochen im Gang. Sie waren von Blog<br />
zu Blog gewandert, ohne dass ich was mitbekommen hatte. Und das Konzert stand unter dem Motto „Trau keinem<br />
über 25“.<br />
Nun, das erklärte, woher Ange es hatte. War ein guter Slogan.<br />
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Am Montagmorgen beschloss ich, mal wieder bei der Anarchistenbuchhandlung vorbeizuschauen und zu versuchen,<br />
eins dieser Emma-Goldman-Poster zu bekommen. Ich brauchte die Gedächtnisstütze.<br />
Also nahm ich auf dem Weg zur Schule den Umweg die 16te runter in die Mission, dann Valencia hoch und rüber.<br />
Der Laden war zu, aber ich notierte mir die Öffnungszeiten und vergewisserte mich, dass sie das Poster noch hängen<br />
hatten.<br />
Als ich Valencia runterstapfte, war ich erstaunt zu sehen, wie viel „Trau keinem über 25“-Zeug hier zu sehen<br />
war. Die Hälfte der Läden hatte Trau-keinem-Devotionalien in den Fenstern: Brotdosen, Babydoll-Shirts, Stiftdosen,<br />
Truckerhüte. Die Trendsetterläden sind immer schneller geworden: Wenn sich neue Meme binnen ein, zwei Tagen<br />
übers Netz verbreiten, dann sind die Läden mittlerweile ganz gut darin, ruckzuck den passenden Merchandising-<br />
Kram ins Fenster zu hängen. Wenn du am Montag ein witziges Youtube-Filmchen über einen Typ, der sich aus<br />
Mineralwasserflaschen einen Düsenantrieb bastelt, in deiner M<strong>ai</strong>l findest, kannst du davon ausgehen, am Dienstag<br />
die ersten T-Shirts mit Stills aus dem Video kaufen zu können.<br />
Aber es war irre zu sehen, wie sich was aus dem Xnet in die Szeneläden ausbreitete. Zerfetzte Designerjeans, auf<br />
die der Slogan sorgfältig wie mit Tinte geschrieben war. Gestickte Aufnäher.<br />
Gute Nachrichten verbreiten sich schnell.<br />
Als ich in die Gesellschaftskundeklasse von Ms. Galvez kam, stand der Slogan an der Tafel. Wir saßen alle an<br />
unseren Tischen und grinsten ihn an, und er schien zurückzugrinsen. Es hatte was ungeheuer Befriedigendes zu<br />
denken, dass wir alle einander trauen konnten und dass der Feind identifizierbar war. Ich wusste, dass das nicht so<br />
ganz stimmte, aber es war eben auch nicht so ganz falsch.<br />
Ms. Galvez kam rein, strich sich übers Haar, stellte ihr SchulBook auf den Tisch und schaltete es ein. Dann nahm<br />
sie ein Stück Kreide und drehte sich zur Tafel. Alles lachte. Gutmütig zwar, aber wir lachten.<br />
Sie drehte sich wieder zu uns und lachte ebenfalls. „Sieht so aus, als ob die Sloganschreiber der Nation unter Inflation<br />
leiden. Wer von euch weiß denn, woher dieser Satz ursprünglich stammt?“<br />
Wir schauten uns an. „Hippies?“, fragte jemand, und wir lachten wieder. San Francisco ist voll von Hippies, von<br />
den alten Kiffern mit ihren Schmuddelbärten und Batikfummeln bis zu denen von heute, die sich mehr fürs Verkleiden<br />
und Footbag-Spielen interessieren als fürs Protestieren.<br />
„Ja, Hippies. Aber wenn wir heute an Hippies denken, dann meist nur an ihre Kleidung und an die Musik. Aber Kleidung<br />
und Musik waren nur eine Begleiterscheinung von dem, was diese Ära, die Sechziger, so wichtig machte.<br />
„Ihr habt schon von der Bürgerrechtsbewegung gehört, der es um die Abschaffung der Rassentrennung ging;<br />
weiße und farbige Jugendliche wie ihr, die mit Bussen in den Süden gefahren sind, um bei der Registrierung<br />
schwarzer Wähler zu helfen und gegen den offiziellen Staatsrassismus zu protestieren. Kalifornien war einer der<br />
Orte, aus denen die meisten Führer der Bürgerrechtsbewegung kamen. Wir waren hier immer schon ein bisschen<br />
politischer als der Rest des Landes, und in diesem Teil des Landes konnten Farbige außerdem schon dieselben<br />
Fabrikjobs bekommen wie Weiße, so dass es ihnen ein bisschen besser ging als ihren Verwandten im Süden.<br />
Die Studenten in Berkeley schickten kontinuierlich Freiheitsaktivisten nach Süden, die sie mithilfe von Infoständen<br />
auf dem Campus, in Bancroft und Telegraph Avenue rekrutierten. Die Stände gibt es heute noch, ihr habt sie wahrscheinlich<br />
schon gesehen.<br />
Tja, die Universität versuchte das zu unterbinden. Ihr Präsident verbot politische Aktivitäten auf dem Campus, aber<br />
die Bürgerrechtsjugend ließ sich davon nicht aufhalten. Die Polizei versuchte jemanden zu verhaften, der an den<br />
Infoständen Flugblätter verteilte, aber dann haben 3000 Studenten den Wagen umzingelt und es verhindert, ihn<br />
abtransportieren zu lassen. Sie wollten es nicht zulassen, dass sie diesen Jugendlichen ins Gefängnis brachten. Sie<br />
stellten sich aufs Dach des Polizeiautos und hielten Reden über das First Amendment3 und über Meinungsfreiheit.<br />
Das gab den Startschuss für die Bewegung für Meinungsfreiheit. Es war der Beginn der Hippies, aber von hier nahmen<br />
auch ein paar radikalere Studentenbewegungen ihren Anfang. Black-Power-Gruppen wie die Black Panthers,<br />
3 Erster Zusatzartikel zur US-Verfasssung, verbietet u.a. die gesetzliche Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, A.d.Ü<br />
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Cory Doctorow: Little Brother x