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kapitel 1 - adamas.ai

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Sie machte sich los und langte hinüber zu ihrem Nachttisch, zog die Schublade auf und warf einen weißen Kulturbeutel<br />

vor mir aufs Bett. Ich schaute hinein: Kondome – Trojans, ein Dutzend spermizide, noch verschweißt. Ich<br />

lächelte sie an, sie lächelte zurück, und ich öffnete die Schachtel.<br />

x<br />

Wie es sein würde, darüber hatte ich seit Jahren nachgedacht. Hundert Mal am Tag hatte ich es mir vorgestellt. Es<br />

hatte Tage gegeben, da hatte ich praktisch an nichts anderes gedacht.<br />

Und es war kein Stück so, wie ich es erwartet hatte. Manches daran war besser. Manches war viel schlimmer.<br />

Während es andauerte, empfand ich es als eine Ewigkeit. Und hinterher hatte ich das Gefühl, es habe nur einen<br />

einzigen Augenblick lang gedauert.<br />

Hinterher fühlte ich mich wie zuvor. Und doch anders. Irgendetwas war anders geworden zwischen uns.<br />

Es war ziemlich schräg. Verschämt zogen wir uns wieder an, stapften durchs Zimmer, vermieden es, dem Blick des<br />

Anderen zu begegnen. Ich wickelte das Kondom in ein Kleenex aus einer Schachtel neben dem Bett, trug es ins<br />

Bad, umwickelte es mit Klopapier und steckte es tief unten in den Mülleimer.<br />

Als ich zurückkam, saß Ange auf dem Bett und spielte mit ihrer Xbox. Ich setzte mich zaghaft neben sie und nahm<br />

sie bei der Hand. Sie wandte mir das Gesicht zu und lächelte. Wir waren beide ausgelaugt und zitterten.<br />

„Danke“, sagte ich.<br />

Sie sagte kein Wort und drehte mir wieder den Kopf zu. Sie lächelte übers ganze Gesicht, während ihr dicke Tränen<br />

über die Wangen liefen.<br />

Ich umarmte sie, und sie klammerte sich fest an mich. „Du bist ein guter Mensch, Marcus Yallow“, flüsterte sie.<br />

„Danke.“<br />

Ich wusste darauf nichts zu entgegnen, aber ich erwiderte ihre Umklammerung. Sie weinte nun nicht mehr, aber<br />

sie lächelte noch.<br />

Sie wies auf meine Xbox auf dem Boden neben dem Bett. Ich verstand den Wink, nahm sie hoch, stöpselte sie ein<br />

und loggte mich ein.<br />

Immer dasselbe: Berge von E-M<strong>ai</strong>l. Die neuen Einträge der Blogs, die ich las, trudelten ein. Und Spam. Oh Mann,<br />

bekam ich Spam. Meine schwedische M<strong>ai</strong>ladresse war schon mehrfach von Spammern gehijackt worden, um sie<br />

als Antwortadresse für hundertmillionenfach versandte Werbem<strong>ai</strong>ls zu missbrauchen, und deshalb bekam ich automatische<br />

Rückläufer und auch wütende Antworten. Keine Ahnung, wer dahintersteckte – ob nun das DHS, um<br />

meine M<strong>ai</strong>lbox zu fluten, oder auch nur Leute, die sich einen Spaß erlaubten. Immerhin hatte die Piratenpartei<br />

ziemlich gute Filter, und sie gaben jedem, der wollte, 500 Gigabyte Speicherplatz für M<strong>ai</strong>ls, also stand nicht zu<br />

befürchten, dass mein Postfach demnächst erstickte.<br />

Ich hämmerte auf die Löschtaste und filterte alles raus. Für alles Zeug, das mit meinem öffentlichen Schlüssel verschlüsselt<br />

war, hatte ich ein separates Postfach, weil das mit einiger Wahrscheinlichkeit mit dem Xnet zu tun hatte<br />

und vertraulich war. Bisher waren die Spammer noch nicht dahintergekommen, dass die Verwendung öffentlicher<br />

Schlüssel ihrem Müll einen seriöseren Anstrich geben würde; das funktionierte also noch ganz gut.<br />

Ich hatte ein paar Dutzend verschlüsselte Nachrichten von Leuten in meinem Web of Trust. Ich überflog sie –<br />

Links zu Videos und Fotos mit neuen Übergriffen des DHS, Horrorgeschichten übers Entkommen um Haaresbreite,<br />

Kommentare zu meinen Blog-Texten. Das Übliche.<br />

Dann kam eine, die nur mit meinem öffentlichen Schlüssel verschlüsselt war. Das bedeutete, dass niemand außer<br />

mir die Nachricht lesen konnte, aber ich hatte keine Ahnung, wer sie geschrieben hatte. Als Absender stand da<br />

„Masha“ – das konnte ein Nick sein oder auch ein Realname, ich wusste es nicht.<br />

> M1k3y<br />

> Du kennst mich nicht, aber ich kenne dich.<br />

> Ich wurde an dem Tag festgenommen, an dem die Brücke hochging. Sie befragten mich und kamen zu<br />

dem Ergebnis, dass ich unschuldig sei. Sie haben mir einen Job angeboten: Ich sollte ihnen helfen, die<br />

Terroristen zu jagen, die meine Nachbarn getötet hatten.<br />

> Damals klang das wie eine gute Idee. Ich habe erst später gemerkt, dass mein eigentlicher Job darin<br />

besteht, Kids auszuspionieren, die sich dagegen wehren, dass ihre Stadt in einen Polizeistaat verwandelt<br />

wird.<br />

x Cory Doctorow: Little Brother

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