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kapitel 1 - adamas.ai

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Kapitel 16<br />

Dieses Kapitel ist San Franciscos Booksmith gewidmet, versteckt im legendären H<strong>ai</strong>ght-Ashbury-Viertel, nur ein paar Türen hinter Ben and Jerry’s an<br />

eben dieser Ecke H<strong>ai</strong>ght und Ashbury. Die Leute von Booksmith wissen genau, wie man eine Autorenlesung veranstalten muss – als ich in San Francisco<br />

lebte, war ich ständig dort, um unglaubliche Autoren zu hören (William Gibson war unvergesslich). Sie produzieren auch kleine Sammelkarten für jeden<br />

Autor – ich habe zwei von meinen eigenen Lesungen dort.<br />

Booksmith http://thebooksmith.booksense.com 1644 H<strong>ai</strong>ght St. San Francisco CA 94117 USA +1 415 863 8688<br />

uerst wirkte Mom schockiert, dann wütend, und schließlich gab sie es ganz auf und saß bloß noch mit of-<br />

Zfenem Mund da, während ich sie durch die Vernehmungen führte, durch mein Einpinkeln, den Sack über<br />

meinem Kopf, Darryl. Ich zeigte ihr den Zettel.<br />

„Warum …?“<br />

Es war alles in diesem einen Wort: All die Vorwürfe, die ich mir während der Nächte machte, jeder Moment, den<br />

es mir an Mut mangelte, der Welt zu berichten, worum es wirklich ging, warum ich in Wirklichkeit kämpfte und<br />

was das Xnet in Wahrheit inspiriert hatte.<br />

Ich atmete tief durch.<br />

„Sie haben mir gesagt, ich würde ins Gefängnis gehen, wenn ich darüber rede. Nicht nur für ein paar Tage. Für<br />

immer. Ich … ich hatte Angst.“<br />

Mom saß eine lange Zeit nur bei mir und sagte kein Wort. Dann: „Und was ist mit Darryls Vater?“ Genauso gut<br />

hätte sie mir eine Stricknadel in die Brust bohren können. Darryls Vater. Er musste glauben, dass Darryl schon<br />

lange, lange tot war.<br />

Und war er es etwa nicht? Wenn das DHS dich widerrechtlich drei Monate lang festgehalten hat, lassen sie dich<br />

dann überhaupt noch mal raus?<br />

Aber Zeb war rausgekommen. Vielleicht würde Darryl auch rauskommen. Vielleicht konnten ich und das Xnet<br />

dabei helfen, Darryl rauszubekommen.<br />

„Ich hab es ihm nicht erzählt.“<br />

Jetzt fing Mom an zu weinen. Das tat sie nicht oft; es war ihre britische Ader. Das machte ihre kleinen hicksenden<br />

Schluchzer noch viel schwerer zu ertragen.<br />

„Du wirst es ihm erzählen“, brachte sie hervor. „Du musst.“<br />

„Ja.“<br />

„Aber zuerst müssen wir es deinem Vater erzählen.“<br />

x<br />

Dad kam längst nicht mehr zu einer bestimmten Zeit nach Hause. Durch seine Beratungstätigkeit – seine Kunden<br />

hatten jetzt reichlich Arbeit, seit das DHS sich auf der Halbinsel nach Data-Mining-Startups umsah – und die lange<br />

Pendelei nach Berkeley kam er irgendwann zwischen sechs Uhr abends und Mitternacht nach Hause.<br />

Heute abend rief Mom ihn an und sagte, er möge „auf der Stelle“ heimkommen. Er entgegnete etwas, und sie wiederholte<br />

bloß „auf der Stelle“.<br />

Als er ankam, hatten wir uns im Wohnzimmer hingesetzt und den Zettel zwischen uns auf den Kaffeetisch gelegt.<br />

Beim zweiten Mal fiel das Erzählen leichter. Das Geheimnis war nicht mehr so drückend. Ich schönte nichts, und<br />

ich verheimlichte nichts. Ich redete mir alles von der Seele.<br />

Ich hatte die Phrase schon gehört, aber nie zuvor begriffen, was sie eigentlich bedeutete. Das Geheimnis für mich<br />

zu behalten hatte mich beschmutzt, meinen Geist verdorben. Es hatte mich ängstlich und beschämt gemacht. Es<br />

hatte mich zu all dem gemacht, was Ange über mich gesagt hatte.<br />

Dad saß die ganze Zeit steif wie ein Amboss da, sein Gesicht wie aus Stein gemeißelt. Als ich ihm den Zettel<br />

reichte, las er ihn zwei Mal und legte ihn dann sorgfältig beiseite.<br />

Er schüttelte den Kopf, stand auf und ging zur Haustür.<br />

„Wohin gehst du?“, fragte Mom besorgt.<br />

„Ich muss mal um den Block“, war alles, was er mit brechender Stimme hervorbrachte.<br />

x Cory Doctorow: Little Brother

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