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Ich habe das Xnet am Tag seiner Entstehung infiltriert. Ich bin in deinem Web of Trust. Wenn ich<br />
meine Identität preisgeben wollte, könnte ich dir eine M<strong>ai</strong>l von einer Adresse schicken, der du vertraust.<br />
Drei Adressen, um genau zu sein. Ich bin so weit drin in deinem Netzwerk, wie das überhaupt nur einer<br />
17-Jährigen möglich ist. Einige der M<strong>ai</strong>ls, die du bekommen hast, enthielten sorgfältig ausgewählte<br />
Fehlinformationen von mir und meinen Auftraggebern.<br />
> Sie wissen noch nicht, wer du bist, aber sie kommen dir näher. Sie drehen immer mehr Leute auf ihre<br />
Seite um. Sie grasen die sozialen Netzwerke ab und machen Kids mithilfe von Drohungen zu<br />
Informanten. Mittlerweile arbeiten mehrere hundert Leute im Xnet für das DHS. Ich habe ihre Namen,<br />
Nicks und Schlüssel. Die privaten und die öffentlichen.<br />
> Kurz nach dem Start des Xnets haben wir begonnen, ParanoidLinux zu hacken. Bisher haben wir nur<br />
kleine, unbedeutende Lücken aufgetan, aber der eigentliche Hack steht unmittelbar bevor. Und sobald<br />
wir den haben, bist du tot.<br />
> Ich glaube, es dürfte klar sein, dass ich in Gitmo-an-der-Bay alt und grau werde, wenn meine Auftraggeber<br />
herausfinden, dass ich das hier tippe.<br />
> Selbst wenn sie ParanoidLinux nicht knacken: Es sind schon verseuchte Distros im Umlauf. Bei denen<br />
stimmen die Prüfsummen nicht, aber wer außer dir und mir schaut sich schon die Prüfsummen an?<br />
Eine Menge Kids sind schon tot, sie wissen es nur noch nicht.<br />
> Das Einzige, worauf meine Auftraggeber jetzt noch warten, ist der beste Zeitpunkt, dich hochgehen zu<br />
lassen, damit die Aufmerksamkeit der Medien am größten ist. Und das wird eher früher als später sein,<br />
glaub mir.<br />
> Vielleicht fragst du dich jetzt, warum ich dir das erzähle.<br />
> Ich frage es mich übrigens auch.<br />
> So viel steht jedenfalls fest: Ich habe mich anheuern lassen, um Terroristen zu bekämpfen. Stattdessen<br />
schnüffle ich Amerikaner aus, die an Dinge glauben, die das DHS nicht mag. Keine Leute, die Brücken<br />
sprengen wollen, sondern Demonstranten. Ich kann so nicht weitermachen.<br />
> Du aber auch nicht, ob du es schon weißt oder nicht. Wie gesagt: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis du<br />
in Ketten auf Treasure Island landest. Es ist nicht mehr „ob“, sondern „wann“.<br />
> Deshalb bin ich hier durch. Unten in Los Angeles sind ein paar Leute, die sagen, sie können mir Sicherheit<br />
bieten, wenn ich raus will.<br />
> Ich will raus.<br />
> Und wenn du willst, nehme ich dich mit. Lieber ein Kämpfer als ein Märtyrer. Wenn du mit mir kommen<br />
willst, können wir austüfteln, wie wir gemeinsam siegen können. Ich bin auch so schlau wie du, glaub<br />
mir.<br />
> Was meinst du?<br />
> Hier ist mein öffentlicher Schlüssel.<br />
> Masha<br />
x<br />
Bist du ängstlich und allein, hilft nur rennen oder schrei’n.<br />
Schon mal gehört? Das ist zwar nicht sonderlich hilfreich, aber zumindest leicht zu befolgen. Ich sprang vom Bett<br />
und lief hin und her. Mein Herz wummerte, und mein Blut sang in einer grausamen Parodie dessen, was ich empfunden<br />
hatte, als wir heimkamen. Das hier war keine sexuelle Erregung, es war nackte Angst.<br />
„Was?“, fragte Ange. „Was ist?“<br />
Ich zeigte nur auf den Monitor auf meiner Seite des Betts. Sie rollte rüber, schnappte sich meine Tastatur und fuhr<br />
mit dem Finger übers Touchpad. Sie las schweigend.<br />
Ich lief weiter herum.<br />
„Das müssen Lügen sein“, sagte sie. „Das DHS spielt Psychospielchen mit dir.“<br />
Ich sah sie an. Sie biss auf ihre Lippe und sah nicht aus, als ob sie es selbst glaubte.<br />
Cory Doctorow: Little Brother x