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Kapitel 20<br />
Dieses Kapitel ist The Tattered Cover gewidmet, Denvers legendärer unabhängiger Buchhandlung. Auf The Tattered Cover bin ich eher zufällig<br />
gestoßen: Alice und ich waren gerade aus London kommend in Denver gelandet, es war früh am Morgen, es war kalt, und wir brauchten Kaffee.<br />
Wir fuhren im Mietwagen ziellos im Kreis, und da sah ich es, das Tattered-Cover-Schild. Irgendein Glöckchen klingelte bei mir – ich wusste, davon<br />
hatte ich schon mal was gehört. Wir parkten, tranken einen Kaffee und betraten den Laden – ein Wunderland aus dunklem Holz, lauschigen<br />
Lesenischen und meilenweise Bücherregalen.<br />
The Tattered Cover http://www.tatteredcover.com/NASApp/store/Product?s=showproduct&isbn=9780765319852 1628 16th St., Denver, CO USA<br />
80202 +1 303 436 1070<br />
einer der drei Jungs war momentan zu sehen, und ich ging los. Mein Kopf schmerzte so sehr, dass ich glaubte,<br />
Ker müsse bluten, aber meine prüfenden Hände blieben trocken. Mein lädierter Knöchel war im Truck steifgefroren,<br />
deshalb lief ich wie eine kaputte Marionette, doch ich hielt nur ein einziges Mal an, um den Löschvorgang<br />
auf Mashas Handy abzubrechen. Den Funk schaltete ich aus, um den Akku zu schonen und damit man mich nicht<br />
darüber orten konnte, und ich stellte es so ein, dass es erst nach zwei Stunden auf Standby ging – das war die längste<br />
einstellbare Zeit. Ich versuchte die Passwortabfrage beim Starten aus Standby auszuschalten, aber diese Einstellung<br />
erforderte selbst wieder ein Passwort. Also musste ich zumindest ein Mal alle zwei Stunden irgendwas tippen,<br />
bis ich eine Möglichkeit bekam, das Bild aus dem Handy zu überspielen. Und ich musste ein Ladegerät besorgen.<br />
Ich hatte keinen Plan. Ich brauchte aber einen. Ich musste mich mal irgendwo hinsetzen, online gehen – einfach<br />
mal austüfteln, was ich als Nächstes tun sollte. Ich hatte es so satt, andere Leute meine Pläne machen zu lassen. Ich<br />
wollte nicht mehr handeln, weil Masha irgendwas getan hatte, oder wegen des DHS oder wegen meines Vaters.<br />
Oder wegen Ange? Na, vielleicht würde ich Ange zuliebe handeln. Doch, das wäre wohl das Richtige.<br />
Ich war einfach nur talwärts gestromert, so oft wie möglich auf Nebenstraßen, und war jetzt ein Teil der Menge<br />
im Tenderloin. Ich hatte kein bestimmtes Ziel. Alle paar Minuten steckte ich die Hand in die Tasche, um eine der<br />
Tasten auf Mashas Handy zu drücken, damit es nicht auf Standby ging. Aufgeklappt machte es eine scheußliche<br />
Ausbuchtung in meiner Tasche.<br />
Ich blieb stehen und lehnte mich an ein Gebäude. Mein Knöchel brachte mich bald um. Und überhaupt: Wo war<br />
ich?<br />
O’Farrell Ecke Hyde Street. Vor einem dubiosen „Asiatischen Massagesalon“. Meine heimtückischen Füße hatten<br />
mich bis ganz an den Anfang zurückgebracht – dorthin, wo das Foto auf Mashas Handy aufgenommen worden<br />
war, unmittelbar bevor die Bay Bridge hochging, bevor mein Leben sich für immer änderte.<br />
Mir war danach, mich auf den Bürgersteig zu setzen und zu heulen, aber das würde meine Probleme nicht lösen.<br />
Ich musste Barbara Stratford anrufen und ihr erzählen, was geschehen war. Musste ihr das Foto von Darryl zeigen.<br />
Ach, was dachte ich denn? Ich musste ihr das Video zeigen, das eine, das Masha mir geschickt hatte – das, in dem<br />
der Stabschef des Präsidenten sich an den Anschlägen auf San Francisco geweidet hatte, in dem er zugegeben<br />
hatte, dass er wusste, wann und wo die nächsten Anschläge stattfinden würden, und dass er sie nicht zu stoppen<br />
gedenke, weil sie seinem Chef die Wiederwahl sichern würden.<br />
Na, das war doch mal ein Plan: mit Barbara in Kontakt treten, ihr die Dokumente geben und sie in Druck bringen.<br />
Der VampMob musste die Leute wirklich ziemlich verstört haben, so dass sie jetzt dachten, dass wir wirklich ne<br />
Horde Terroristen waren.Als ich es geplant hatte, hatte ich natürlich nur dran gedacht, was für eine tolle Ablenkung<br />
es sein würde, und nicht, wie es auf irgendeinen NASCAR-Dad in Nebraska wirken würde.<br />
Ich würde also Barbara anrufen, und ich würde clever sein dabei: aus einem Münztelefon, Kapuze auf, so dass die<br />
unvermeidliche Überwachungskamera kein Foto von mir bekäme. Ich grub einen Quarter aus meiner Tasche und<br />
polierte ihn am T-Shirt-Saum, um meine Fingerabdrücke abzuwischen.<br />
Ich ging immer weiter runter in Richtung der BART-Station mit ihren Münztelefonen. Ich schaffte es bis zur Straßenbahnhaltestelle,<br />
als ich die Titelseite des aktuellen „Bay Guardian“ sah, auf einem hohen Stapel neben einem<br />
farbigen Obdachlosen, der mich angrinste. „Na los, lies die Schlagzeilen, ist gratis. Reingucken kostet dich aber 50<br />
Cent.“<br />
Der Aufmacher war in der größten Typo gesetzt, die ich seit dem 11. September gesehen hatte:<br />
IN GUANTANAMO-AN-DER-BAY<br />
Darunter, in kaum kleinerer Schrift:<br />
„Wie das DHS unsere Kinder und Freunde in Geheimgefängnissen vor unserer Haustür gefangen hält.<br />
Cory Doctorow: Little Brother x