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kapitel 1 - adamas.ai

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Die wissen, wer du bist, dachte ich. Die wissen, wer M1k3y ist. Die Sache war gelaufen. Wenn Ange es rausgefunden<br />

hatte, dann das DHS ja wohl erst recht. Ich war geliefert. Ich hatte es von dem Moment an gewusst, in<br />

dem ich aus dem DHS-Truck aussteigen durfte: Eines Tages würden sie kommen, um mich zu holen und mich für<br />

immer verschwinden zu lassen, dort, wo sie auch Darryl hatten verschwinden lassen.<br />

Alles war aus.<br />

Auf Höhe Market Street rannte sie mich fast um. Sie war außer Atem und sah ziemlich wütend aus.<br />

„Was zum Teufel ist Ihr Problem, mein Herr?“<br />

Ich schüttelte sie ab und ging weiter. Alles war aus.<br />

Sie packte mich wieder. „Hör auf damit, Marcus, du machst mir Angst. Komm schon, sprich mit mir.“<br />

Ich hielt an und schaute sie an. Sie verschwamm vor meinen Augen. Ich sah alles nur unscharf. Und ich hatte<br />

diesen wahnsinnigen Drang, mich einfach vor die Straßenbahn zu werfen, die grade an uns vorbeiratterte, hier,<br />

mitten auf der Straße. Lieber sterben als noch mal dorthin zurück.<br />

„Marcus!“ Sie tat etwas, was ich bisher nur aus Filmen kannte: Sie haute mir eine runter, und zwar hart ins Gesicht.<br />

„Sprich mit mir, verdammtnochmal!“<br />

Ich sah sie an und befühlte mein Gesicht, das brannte wie Hölle.<br />

„Niemand darf wissen, wer ich bin“, sagte ich. „Ich kanns nicht anders sagen. Wenn du es weißt, dann ist es vorbei.<br />

Sobald andere Leute es wissen, ist es gelaufen.“<br />

„Oh Gott, es tut mir Leid. Hey, ich weiß das bloß, weil, also, ich hab Jolu erpresst. Nach der Party hab ich dir ein<br />

bisschen hinterhergeschnüffelt, um rauszukriegen, ob du wirklich so nett bist, wie du wirkst, oder vielleicht doch<br />

ein heimlicher Serienkiller. Jolu kenn ich schon ewig, und als ich ihn über dich ausgefragt habe, da hat er von<br />

dir geschwärmt, als wärst du der nächste Messias oder so; aber ich hab gemerkt, dass da immer noch was war,<br />

womit er nicht rausrücken wollte. Ich kenn ihn also schon ewig; und er war mal im Computer-Camp hinter meiner<br />

älteren Schwester her, als er nochn Kind war. Ich weiß ein paar ziemlich schmutzige Sachen über ihn. Und ich<br />

hab ihm gesagt, ich würde die in der Welt rumposaunen, wenn er mir nicht alles erzählt.“<br />

„Und dann hat ers dir erzählt.“<br />

„Nein“, sagte sie. „Er meinte, ich könne mich mal gehackt legen. Dann hab ich ihm also was über mich erzählt.<br />

Etwas, was ich überhaupt noch niemandem erzählt habe.“<br />

„Was denn?“<br />

Sie schaute mich an. Blickte sich um, blickte wieder zu mir. „Okay, ich lass dich jetzt nicht Verschwiegenheit<br />

schwören; was solls? Entweder ich kann dir trauen oder nicht.<br />

Letztes Jahr hab …“ Sie stockte. „Letztes Jahr hab ich die standardisierten Tests geklaut und im Internet veröffentlicht.<br />

War eigentlich nur zum Spaß. Ich kam zufällig am Büro des Schulleiters vorbei und sah sie im Safe,<br />

und die Tür war offen. Ich bin also reingehuscht – da waren sechs Exemplare, und ich hab mir eins davon in die<br />

Tasche gesteckt und bin wieder raus. Daheim hab ich sie gescannt und auf einem Piratenpartei-Server in Dänemark<br />

veröffentlicht.“<br />

„Du warst das?“<br />

Sie errötete. „Hm, ja.“<br />

„Heilige Scheiße!“ Das war wirklich ne dolle Sache gewesen. Das Erziehungsministerium sagte damals, dass es etliche<br />

Millionen Dollar gekostet habe, ihre „Kein Kind wird zurückgelassen“-Tests produzieren zu lassen, und dass sie<br />

jetzt nach dem Leck gleich noch mal dieselbe Summe ausgeben müssten. Sie sprachen von „Bildungsterrorismus“,<br />

und in den Nachrichten wurde spekuliert ohne Ende über die politischen Motive des Täters; man fragte sich, ob es<br />

ein Lehrerprotest war, ein Schüler, ein Dieb oder ein unzufriedener Behördenmitarbeiter.<br />

„DU warst das?“<br />

„Ich war das.“<br />

„Und du hast es Jolu erzählt …“<br />

„Weil ich ihm zeigen wollte, dass er sich drauf verlassen kann, dass ich das Geheimnis für mich behalte. Wenn er<br />

mein Geheimnis kennt, dann hat er was gegen mich in der Hand, das mich ins Gefängnis bringen würde, falls ich<br />

meine Falle öffne. Bisschen geben, bisschen nehmen. Quid pro quo, wie in Schweigen der Lämmer.“<br />

x Cory Doctorow: Little Brother

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